Behringer: Geliebt, gehasst, gecancelt
Ein Firmenname genügt und Musiker:innen wissen, was Sache ist: Behringer. Viel diskutiert, oft gehasst, noch öfter gekauft, polarisiert die 1989 im nordrhein-westfälischen Willich gegründete Firma überall dort, wo Klinkenkabel eingestöpselt werden. Auf der einen Seite applaudieren Fans, die Behringer seit Jahren kaufen und von der Endstufe bis zum Mischpult auf die Marke vertrauen. Auf der anderen Seite protestieren Hater. Es handle sich um eine Firma, die alte Synthesizer kopiert, sich an den Designs der Klassiker bedient und eine Firmenphilosophie verfolgt, die antisemitische Hasskampagnen und Sammelklagen gegen unliebsame Reporter umfasst. Beide Positionen sind so weit voneinander entfernt wie Rick Rubin von einem guten Audio-Engineer. Trotzdem finden sie in einer Hinsicht zusammen: Produkte von Behringer seien günstiger als die Konkurrenz – und damit verdammt billig.
Die Geschichte von Behringer beginnt offiziell 1989 an der Frankfurter Musikmesse. Dabei baut der gebürtige Schweizer Uli Behringer, Chef und Gründer des Unternehmens, schon Ende der 70er mit gerade einmal 16 Jahren seinen ersten Synthesizer. Als Student bastelt er sich eigene Mischpulte, weil er als angehender Toningenieur über vier Monate warten sollte, um das Equipment an der Uni zu benutzen. Die Geräte klingen gut, sind aber vor allem: deutlich billiger als jene, die in den Geschäften angeboten werden. Das bekommen auch Behringers Kollegen mit. Bald verkauft er selbstgebasteltes Audio-Equipment an seine Mitstudierenden in Düsseldorf. „Dies war der Zeitpunkt, als ich wusste, dass es meine persönliche Mission in meinem Leben sein würde, für Musiker einzutreten und hervorragende Geräte erschwinglich zu machen, damit sie ihr Talent ausschöpfen können“, so Behringer in einem Interview mit Peter Grandl.
Über 30 Jahre später bestückt Behringer Studios auf der ganzen Welt. Von aktiven Fullrange-Lautsprecher über analoge Recording-Mischpulte bis hin zu Audio-Interfaces und Synthesizer-Nachbauten rollt im chinesischen Zhongshan alles aus den Montagehallen, was Klang erzeugt oder verarbeitet. Inzwischen hat sich Behringer zu einem Firmenimperium entwickelt. Uli Behringer ist Chef von Music Tribe, dem Mutterkonzern von Audio-Firmen wie Behringer, Midas oder TC Electronic. Der Gesamtwert des Konzerns wird auf über zwei Milliarden Dollar geschätzt. 2018 übersiedelte Music Tribe in die chinesischen Guangdong-Provinz. Nicht in eine neue Firma, sondern in eine ganze Stadt, die ihren Namen trägt: Music Tribe City umfasst 300.000 Quadratmeter, das entspricht 16 Mal der Fläche des Kanzleramts in Berlin. Aktuell arbeiten, schlafen und wohnen über 3500 Mitarbeiter:innen vor Ort. Irgendwann sollen 10.000 Menschen in Schichten alles von Halbleitern bis zum fertigen Synthesizer herstellen.
Das alles hört sich nach einer schweizerisch-deutschen Erfolgsgeschichte an, die in einem Niedriglohnland wie China in Erfüllung gehen konnte. Den Anspruch der Firma hat Uli Behringer, der 1997 nach Hong Kong übersiedelte, um den Produktionsprozess besser überwachen zu können, nie verheimlicht. Man wolle qualitativ hochwertige Geräte bauen, aber billiger als andere Hersteller verkaufen. Dass das in einem kapitalistischen System nur dort funktioniert, wo Arbeit billig ist, ist weder das Geheimnis noch Alleinstellungsmerkmal Behringers. Die Firma hat sich innerhalb der Studio- und Producer-Community vielmehr den Status einer „Kopiermaschine“ aufgebaut. Egal ob digitales Mischpult, Midi-Controller oder 303-Nachbau, man kupfere von allem ab und ergänze nichts. Der Vorwurf: Die meisten Produkte schauen so aus, als hätte Behringer die Originale einfach mit dem eigenen Firmenlogo überklebt.
Auch das ist kein Geheimnis, sondern Kalkül. Schließlich möchte Behringer nicht nur, dass die Leute glauben, dass die Firma sich an anderen Gerätevorbildern bediene. Das Geschäftsmodell verlangt danach, sie so zu betrachten, denn: Behringer verwendet zwar weder originale Schaltkreise noch baut man die Leiterplatten von Vintage-Synthesizern nach. Die Firma profitiert aber davon, dass die Leute glauben, dass man es tut. Seit 2016 hat Behringer dutzende Synthesizer und Soundmodule aufgelegt. Das Stichwort, das Uli Behringer dabei immer wieder verwendet: Open Source. Behringer baut seine Geräte auf der Basis bestehender Geräte von anderen Firmen, deren Patente ausgelaufen und in den Public-Domain-Status übergegangen sind. „Die Regel und das Gesetz besagen eindeutig, dass die Technologie für jedermann frei nutzbar ist, sofern sie nicht geschützt ist. Manche mögen eine andere persönliche Meinung haben, aber so funktioniert unsere Gesellschaft und jede Branche – und das ist auch der Grund, warum das Gesetz so gestaltet wurde, wie es ist“, so Behringer.
Von modularen Ringmodulatoren über polyphone Synthesizer wie Deepmind oder einem täuschend echten 808-Nachbau fertigt man in der Music Tribe City deshalb alles in kleinen Margen und hoher Produktionsgeschwindigkeit. Das verspricht kleine Preise für Kund:innen. Und die Einbindung der Community. „Open Source und offene Innovation sind heute Trends, die in vielen Branchen anzutreffen sind, einfach weil der Nutzen der Zusammenarbeit den Schutz des geistigen Eigentums überwiegt“, so Uli Behringer in einem Post auf Gearspace. Bis vor zwei Jahren tauschte sich der CEO häufig in solchen Foren mit anderen Nutzer:innen aus. Er sammelte Eindrücke der Benutzer:innen seiner Produkte und beantwortete Fragen wie „What Behringer Gear does not suck?“. Seit Mai 2020 findet die Kommunikation ausschließlich in einer Facebook-Gruppe statt, „was uns die Überwachung, Unterstützung und Zusammenarbeit mit euch wesentlich erleichtert“, so Behringer.
Diese Form der Message-Control hat Gründe, die in der Vergangenheit zu finden sind. 2018 verklagte Music Tribe nicht nur den Konkurrenten Dave Smith Instruments, sondern auch 20 User:innen des Tech-Blogs Gearslutz (heute Gearspace) wegen Verleumdung – und verlor. Kurze Zeit später verklagte man einen chinesischen Gear-Blog. Der Grund: Ein Journalist habe Behringer als „Copycat“ bezeichnet. Behringer verlor erneut. Der Tech-Journalist Peter Kirn berichtete über die Vorfälle und geriet selbst ins Fadenkreuz des Audio-Konzerns. Behringer veröffentlichte daraufhin mehrere Facebook-Postings, in denen man angab, den Namen „KIRN“ als Markennamen eingetragen zu haben. Außerdem postete die Firma das Bild eines Fake-Produkts. Der sogenannte Kirn Cork Sniffer spiele mit antisemitischen Codes, so die Kritik. In sozialen Netzwerken kam es zu einem Shitstorm, Nutzer:innen posteten Videos, in denen sie ihre Behringer-Geräte mit Wein übergossen oder mit einem Hammer zerstörten.
Um die Tragweite dieser Aktionen zu realisieren, muss man sie in einem Satz zusammenfassen: Ein Multi-Milliarden-Dollar-Konzern mit mehreren Tausend Mitarbeitern geht auf einen einzelnen Journalisten los, weil er kritisch berichtet. Dabei handelte es sich nicht um einen konsensualen Faustkampf auf Augenhöhe, sondern um eine Machtdemonstration als Einschüchterungsversuch. Schließlich sind es die finanzielle Macht, die juristischen Ressourcen, die Stammanhängerschaft und die Marketing-Maschine eines riesigen Unternehmens, die auf eine einzelne Person abzielten. Uli Behringer entschuldigte sich zwar persönlich in einem Post, löschte die Nachricht aber kurz darauf wieder. Der Schaden war ohnehin angerichtet.
Im Dezember 2020 veröffentlichte der Musiker und YouTuber Benn Jordan ein Video mit dem Titel: „Behringer: The Edgelords of Music Production“. In 18 Minuten bespricht er Behringers Firmenphilosophie – und adressiert am Ende Uli Behringer persönlich. Der CEO solle „seinen Mann stehen“ und die 21.000 Dollar, die Jordan für wohltätige Zwecke gesammelt hat, überbieten. Im Gegenzug würde er nicht nur das kritische Video entfernen, sondern ein Jahr lang den Behringer 2600 als Produktplatzierung in all seinen Videos ausstellen. Behringer reagierte tatsächlich. Knapp ein Jahr später postete Jordan erneut ein Video – der Firmeneigentümer habe 200.000 Dollar an Charity-Organisationen gespendet. Mehrere Medien bestätigten.
Damit kehren wir zurück zum Anfang: Behringer wird viel diskutiert, oft gehasst und öfter gekauft – weil die Produkte billig sind und damit Leuten zur Verfügung stehen, die nicht die Möglichkeit haben, 5000 Euro für einen originalen Roland-Synthesizer locker zu machen. Wiegt das die shady Machtkämpfe gegen kritische Journalisten auf? Wohl kaum. Könnten hinter den Spenden und den Eingeständnissen von Firmengründer Uli Behringer ehrliche Motive verborgen sein? Vielleicht. Am Ende steht die Gewissheit, dass es keinen ethischen Konsum in einem kapitalistischen System geben kann. Dass wegen Behringer sehr viel mehr Menschen an Synthesizern schrauben können als vor ein paar Jahren, ist gut. Kritik muss trotzdem möglich sein. Deshalb hält Jordans Video bei 333.000 Aufrufen.