Wos is, Wiener Clubkultur?
Hi, mein Name ist Christoph Benkeser. Du bist bei Grundrauschen gelandet, einem Newsletter zu sogenannten Subkulturen in Österreich. Hier schreibe ich einmal im Monat auf, was in der österreichischen Musik noch passiert, außerdem gibt es aktuelle Veröffentlichungen, die gut sind oder schlecht.
Heute im Newsletter: Die Wiener Clubkultur und die UNESCO. Interviews mit Kreimlsamurai und der neuen Präsidentin des Österreichsichen Musikrats. Außerdem relativ aktuelle Links zum Lesen und wie immer Musik, die ganz neu ist.
Grundrauschen zum Tag
Es gibt diesen Moment, wenn wer was sagt und man weiß nicht genau, ob man jetzt klatschen darf oder soll. Hier, Beispiel: Die Vienna Club Commission will die Wiener Clubkultur als immaterielles Kulturerbe bei der UNESCO einreichen. Stille. Unangenehme Stille, Augenwinkel links, rechts. Ganz hinten klatscht einer versehentlich aus Berlin, äh, ja, toll! Klatschen!
Was ist passiert? Die VCC (für alle, die sie nicht kennen, so was wie das die politisch installierte, aber natürlich unabhängige Rataufdrahttelefon für Clubs in Wien) schreibt „mit euren Inputs” ein Manifest der Clubkultur Wien, um, Nachsatz wichtig! – aus der Buzzwordbingoshow eine „allgemein gültige Definition für die Clubkultur Wien” zu formulieren, um dann, wir holen tief Luft, den ganzen Bumms bei der UNESCO einzureichen.
Schöne Sache, da stehen sicher auch viele zeitgeistige Dinge drin. Zum Beispiel, warum Clubkultur keine Nachtgastro ist. Oder dass Clubkultur aus Gesellschaftsrandgruppen kommt. Und dass es Schutzräume für emanzipatorische Werte, sogenannte Awareness Teams und so weiter braucht, weil: Clubkultur ist bitte wichtig für eine Großstadt und, ach ja, Wien ist ja so eine große Stadt.
Ich in Bangkok, das Handy sagt 38 Grad, ich spüre 62. Schnell rein in den coolen Klimaanlagenwahnsinn der größten Mall von Asien. Fünf, sechs, weiß ich wie viele Stockwerke, Foodcourtfresserei, Luxusuhrenzahnärzte, Stöckelschuhcinderellas, was ist das, egal – weiter hinauf, ganz schön weit hinauf, plötzlich: Kino, weil: warum nicht? Godzilla gegen King Kong, wurscht, Hauptsache 4DX, ja genau, mit Schüttelstühlen und Deckenblitzern und lauter so Zeug, gibt’s bei uns ja nicht, also: rein, rein, rein in die vierte Dimension.
Für was steht eigentlich das X, Elon? Die haben hier echt Popcorn in sieben Geschmacksrichtungen. Krass, jetzt spielt es die Nationalhymne, bitte aufstehen, dazu ein paar schnittigcoole Fotos vom König, ein fescher Kerl, muss man schon sagen, aber bis auf ein paar Kinder steht niemand auf. Dann, endlich, der Film, das heißt: Zuerst mal zeigen, was dieses 4DX eigentlich kann. Ah ja, ziemlich viel. Jetzt aber geht es schon los mit dem Schüttelfrost, abwechselnd Wasser, Wind, tektonische Verschiebungen auf der Danielrichterskala.
Und der Kinosaal wird zur Klimakühltruhe. Ich friere, aber aufstehen und gehen, das mag die vierte Dimension gar nicht, man steigt ja auch nicht im Wurstelprater mittendrin beim Kettenkarussel aus und sagt, ja, schönes Wetter heute. Nein, der heiße Stuhl heißt nicht umsonst heißer Stuhl und wie lang kann der Film schon noch dauern, ziemlich ewig, King Kong kämpft mit (oder gegen?) Godzilla und ein paar Monstern, die Welt geht fast unter und natürlich muss man danach sagen: Dieser Film ist für 4DX gemacht, bei diesem Film kann 4DX wirklich das volle Potenzial ausschöpfen.
Beim Rumpeln denke ich an Berlin. Techno ist dort (ein paar Jahre nach Züriiii) UNESCO-Kulturerbe geworden. Der höchstwahrscheinlich verrückte Dr. Motte und seine Loveparadegedächtnisorganisation haben es durchgebracht. Hat ein paar Jährchen gedauert, war in allen Zeitungen und die hatten ja eine besonders lustige Zeit, weil, was gehört jetzt noch alles zur UNESCO außer Techno, jaja, glaubt ihr nie: Bergsteigen in Sachsen.
Naja, kann man sagen, wenn man sich dann wieder eingekriegt hat, Berlin und Techno … Da passt das ja noch irgendwie, oder? War ja mal wirklich wichtig der Sound, die Mauer, der Osten, wir kennen die Story. Aber in Wien, was gibt’s denn da für eine eigenständige Clubkultur – die Kruderdorfmeistereinschlafpillen sind S-Klasse-Männer, von Mego haben sich die ersten schon heimgedraht und jetzt rennen halt regenbogenfahnenschwenkenden Awareness Teams bei Nackerpatzerlraves rum, aber das ist wie mit Starbucks oder Big Macs. Schaut in Wien auch nicht anders aus als da oder dort.
Aber wenn die VCC sagt, die Wiener Clubkultur soll immaterielles Kulturerbe werden, so wie 163 andere Kulturerbeattraktionen in Österreich, dann macht man da halt mit, damit man bei Sorry-ist-da-noch-ein-Bier-drinnen-Kühlschrankgesprächen auch auf zukünftigen WG-Partys sagen kann, ah ja, in Wien passiert alles immer fünf Jahre später als in Berlin.
Dass die VCC, anders als der verrückte Motte in Berlin, schon mal den PR-Stunt zum Auftakt verwürschtelt hat (man müsste denken, Wiener Clubkultur will UNESCO-Kulturerbe werden, das ist eine schöne Überschrift für 1.204 Kommentare im Standardforum), ist sicher Part of the Plan. Oder auch nicht und die Stadt Wien finanziert mit den 1,5 Millionen Euro (die die VCC bis 2027 bekommt) einfach zu wenig Dancefloorinfluencer.
Aber wahrscheinlich seh ich das, schleudertraumatisch wie ich aus der vierten Dimension komme, einfach ganz falsch.
Grundrauschen gibt’s gratis
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Radio Gaga
Heute ist der dritte Dienstag im Monat, das heißt: Heute ist wieder Grundrauschen auf Radio Orange 94.0, diesmal kommt der Bassist Stephan Paulitsch ins Studio – er hat ein Soloalbum gemacht und heißt jetzt Ghostdog.
Kreiml & Samurai & Alligatorman im Interview
„Ranz oder gar nicht” (VÖ: 19.4.2024) ist ein lustiger Titel für ein Album, es kommt natürlich von den Pulitzerpatentlern KREIML & SAMURAI und erscheint auf Honigdachs. Weil es der Produzent ALLIGATORMAN allumfassend produziert hat, sitzt er an diesem Nachmittag auch unter den Rüdigerhofplatanen. Es gibt noch kein Bier, aber etwas zu besprechen, Realitätskrankheiten, Lieferkettenflashes und die Donaukanalfischerei zum Beispiel. Davor aber: ein der heiteren Stimmung des Albumtitels nachempfundener Gesprächseinstieg mit inhärentem Querverweis zur in der Single „Preislbeerkompott” zitierten Fußballlegende.
Wie viele deppade Frogn soll ich euch heute stellen?
Samurai: Hah, wir haben eh gesagt, es wär geil gewesen, wenn wir ein einziges Interview gemacht hätten mit dem Neukirchner.
Kickt der eigentlich noch?
Kreiml: Hat der nicht als Trainer bei Sturm gehackelt?
Alligatorman: Oder als Scout?
Samurai: Halt im Trainerstab irgendwo. Sonst wär er eh unser neuer Pressesprecher. Jetzt sitzen halt wieder wir da.
Ihr seids ähnliche Charaktere wie der Neukirchner, die letzten …
Kreiml: Ranzbuben.
Samurai: Auch weil wir nicht totzukriegen sind.
Alligatorman: Eh, wir ranzinieren die Leute.
Samurai: Und beim Atomkrieg überleben nur die Kakerlaken, vielleicht sind wir …
Kreiml: Kakerlaken?
Samurai: Schweinehunde wollt ich sagen. Das haben wir den jungen Leuten voraus, wir hatten ja schon eine Phase, in der es gut gerannt ist und alles super war. Dann war Corona und wir waren am Boden, aber weil alles eine Welle ist, sind wir immer noch da, im Verhältnis halt.
Kreiml: Wir haben ja auch ein zähes Fleisch.
Samurai: Drum auch der Honigdachs, der honey badger doesn’t give a shit – alle wollen ihn fressen, aber niemand kann ihn beißen, also resignieren irgendwann alle. So gehen wir mit der Musikindustrie um. Sie versucht uns zu beißen, wir bleiben stehen und machen unser Ding.
Kreiml: Weißt eh, Corona hat uns dermaßen zurückkatapultiert, ich weiß nicht, wie viele drauf geschissen hätten. Wir haben aber realisiert, wir können nicht anders, wir müssen weitertun. Die Frage ist nur: Ist das dann eine freie Entscheidung oder eine Krankheit, die wir in uns tragen.
Das ganze Interview dann demnächst im mica.
Weiterlesen, weiterdenken
tldr: Die Wiener Clubkultur soll immaterielles Weltkulturerbe der UNESCO werden
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Die neue Präsidentin des Österreichischen Musikrats, Eva-Maria Bauer, im Interview
Seit 29. Februar 2024 ist EVA-MARIA BAUER neue Präsidentin des Österreichischen Musikrats (ÖMR). Die Musikwissenschaftlerin der Donau-Universität Krems leitet damit eine Organisation, die politische Interessen von knapp 380.000 Musikschaffenden in Österreich vertritt. Zum Einstandsgespräch betont BAUER, dass sie längst nicht nur den forschenden Blick vertritt. Durch ihre Arbeit in der Musikfabrik NÖ halte sie auch aktiven Zugang zur Szene. Für sie wichtig ist beispielsweise die Verschränkung von wirtschaftlichen Themen mit künstlerischen. Warum dieses Verständnis für alle Künstler:innen wichtig wäre und wie das Bewusstsein dafür gestärkt werden soll, erklärt EVA-MARIA BAUER im mica-Gespräch. Außerdem gibt sie einen Überblick zum bestehenden Fair-Pay-Prozess und kulturpolitischen Entwicklungen im Bund.
Im Fair-Pay-Prozess wird das besonders deutlich: Manche Bundesländer lernen schneller als andere, die man dennoch bundespolitisch mitdenken muss.
Eva-Maria Bauer: Wir sind ein föderaler Staat, das können wir nicht ändern. Wir gehen allerdings voran. Und hoffen auf Geduld. Denn strukturelle Änderungen brauchen Zeit. Natürlich kann das zu Frustration führen, aber: Sehen wir uns an, wie lange ein vergleichbarer Fair-Pay-Prozess in den Niederlanden gebraucht hat …
Ein über 10-jähriger Prozess …
Eva-Maria Bauer: Ja, dazu kommt, dass es in vielen europäischen Ländern derzeit nicht möglich ist, Fair-Pay-Empfehlungen herauszugeben, weil es dem Wettbewerbsrecht widerspricht. Damit meine ich: Wie viel in Österreich gerade geht, ist uns oft nicht bewusst. Oder es wird runtergemacht. Deshalb schwöre ich mir auch als Präsidentin des ÖMR: Sollte ich jemals die Geduld und dadurch die emotionale Distanz zur Sache verlieren, werde ich aufhören.
Bist du ein konsequenter Mensch?
Eva-Maria Bauer: In der Hinsicht bin ich beinhart und setze einen Schnitt. Vielleicht spielt da auch mein Generationenbewusstsein hinein, das stärker als vorherige auf die psychische Gesundheit achtet. So wichtig mir all diese Anliegen sind, mein Leben ist mein Leben. Außerdem bin ich kein Mensch, der glaubt, dass er unersetzbar ist.
Das vollständige Interview ist bei mica erschienen.
»Sehr geehrter Herr Berserker …
Sommer ist,wenn Männerherzen zittern, weil heiße Senoritas locker flockig und feurig bockig über die Tanzfläche fegen…« (Promo-Mail von Zwirn)
Was diesen Monat rauscht
Enno Lingg – s/t
Ich sage, such dir jeden Tag eine gute Sache, weil besser wird es in diesem Moment auch nicht mehr, also, hier ist sie, diese gute Sache.
Coinflip Cutie – Horizons
Sagen wir so, die Welt wäre jetzt nicht kategorisch schlechter, hätten diese vier Grazer Cuties kein neues Album aufgenommen, aber wie es so ist mit der Welt, wäre sie auch nicht schlechter und das ist doch auch was.
Indirect Conflict – Demonstration
Wenn du in deiner Bio schreibst, dass du der ehemalige Bassist einer Punkband namens so und so warst und jetzt ist dein neuer PROJEKTNAME Indirect Conflict, was sollen wir dann eigentlich denken?
Jdis – Unfinished Emotions (Subetasch)
Ich sage, das Konzept ist nicht alles und wegen verkopfter Foltermusik haben sie doch gerade erst diese eine Sendung auf Ö1 abgeschafft, oder?
Rechnung! – Bricolage
Du sagst, zahlen bitte und die Frau legt ein schönes, faltbares Büchlein auf den Tisch, da ist die Rechnung drinnen, Blick drauf, aha, so viel, sollen wir da ein Trinkgeld geben, so super war der Service eigentlich nicht, also legst du ein paar Scheine hinein und klappst zu und schon geht die RECHNUNG auf.
Kuato – Glaze
Nur Schlawinerianer verkaufen altes Wasser als Cocacola.
Aron Hollinger – No Mad
Ich hab es ja nicht so mit SPONTANEN KOMPOSITIONEN, aber das war doch sehr schön, in der Gänze und generell an der Gitarre, weil um die geht es hier ja, glaub ich.
Moonvers – Balladen 1
Männer, die sich mit CK einsprühen und Goldbändchen tragen, für die sie der versammelte Schulhof VOR 25 JAHREN ausgelacht hätte, machen heute Kopfstimmengesäusel, wir hätten es alle verhindern müssen.
Try Hard Indie Kids – ABRAZA EL DOLOR
Immer wenn sich zwei JUNGE Leute treffen und sagen, puh, wird mal Zeit, was Neues zu machen und dann schlüpfen sie in Nirvanashirts an und Slimfitjeans und machen INDIE, der ist auch noch richtig gut und hatten wir alle vernünftigen Menschen mal einen Crush auf diese eine Sängerin von den Kills.
Entrisch – F25.9.
Wer es sich wirklich antun will, also von diesem düsteren Gedröhne nie genug bekommt und deshalb immer ganz cool schauen muss, der hört sich das hier an und liest dabei die gesammelten Werke von Käptn Iglu.
Turist – Turist (Little Beat More)
Turist ist eine Band aus Wien, die macht Musik, die könnte auch aus Afrika und den 70ern oder so kommen, es würde niemandem aufgefallen sein.
ghostdog. – sweetest
Man muss halt schon gut produzieren können, damit das so alt klingt wie bei Stephan Paulitsch, dem ehemals verdinglichen ViechundMartaundsonstwoBassisten. Oder nicht?
RHAYN – Days at Home
Dazu bestellt man drei Vaginakerzen von Gwyneth Paltrow und fühlt sich erwachsen.
Скубут – Pogranichnyi
Der Lederjackenmichael hat es ja SCHON MEHRFACH angekündigt, es kommt da was Neues, was wirklich Tolles, weißt eh, Darkwave, Minimal, Pipapo.
BYDL – Stromberger oder Bilder von Allem
Ich geh ins Theater, weil ich da schon ewig nicht mehr war und danach weiß ich auch wieso, aber die Musik war ganz gut.
Blasser Kyren – Nicht in meiner Hand (Numavi)
Für alles gibt es Paralleluniversen und irgendwo wird auch diese langweilige Zumutung eine stadiongeile Show sein.
oh alien – What We Grow
Wenn jemand auf Snapchat sein Gacki fotografiert und das also allen zeigt, ist das auch nicht lustiger als diese Lieder hier, für die ja jemand ins Studio gegangen sein und sie aufgenommen haben und dann ein Album draus gemacht haben muss.
Fennesz – Liquid Music II (Touch)
Manche behaupten, der coole Fennesz hänge sich die Gitarre nur um, damit sein Ambientgesülze ein bisserl mickjaggerisierter rüberkommt. Ich meine, es sieht halt wirklich cool aus.
Croix du Sud – Croix du Sud (Hvergelmir Records)
Hvergelmir Records, probier das mal auszusprechen, bis du nicht mehr automatisch an Demetermüsli denkst und dann bist du bereit für diese TangerineDreamRealität.
Topsy Turvy – Butt Sore
Wenn deine Instapage mehr aussagt über dich als deine Mukke, dann gratulier ich dir zur Effemvierrotation.
Charles Verni – I’m Crazy
Ich wär gerne Mäuschen in diesem Angewandtenseminar gewesen, wirklich!
Arklight – Untied
Wir haben heute gut angefangen und dann sind wir abgerutscht, aber am Ende liegen wir uns in den Armen und singen alle die Songs von Paramore mit und My Chemical Romance und Emo never dies.
Bevor wir auseinandergehen …
Kruder und Dorfmeister heute (v.l.n.r.)
Dir gefällt Grundrauschen? Rausch halt mit.