Werk will wer?
Hi, mein Name ist Christoph Benkeser. Du bist bei Grundrauschen gelandet, einem Newsletter zu sogenannten Subkulturen in Österreich. Hier schreibe ich einmal im Monat auf, was in der österreichischen Musik noch passiert, außerdem gibt es aktuelle Veröffentlichungen, die gut sind oder schlecht.
Heute im Newsletter: Das Werk auf Willhaben, Interviews mit Rico Mynthen und Stefan Nèmeth. Dazu Links und lustige Lieder.
Grundrauschen zum Tag
Das Werk in Wien steht zur Miete. Immobiliengauner nennen das eine »einzigartige Gelegenheit« – lässt sich doch ein »bekannter Club« mit »außergewöhnlicher Kombination aus urbanem Flair und exklusiver Ausstattung« übernehmen.
Das Angebot steht schon länger online. Seit wann genau, will niemand kommentieren. Jedenfalls wurde preislich ein paar Mal nach oben korrigiert – inzwischen steht das Ding bei knapp zehn Mille im Monat, plus Kaution, plus Maklerprovision: ein schöner Batzen. Dabei sollte die Firma hinter dem Werk eigentlich verkauft werden – die »Gespräche mit potentiellen Käufern« dürften sich aber aufgelöst haben wie Dampf aus der benachbarten Müllverbrennungsanlage.
Wieso sollten wir also über die Vermietung von einem Wiener Club reden? Weil hinter dem Werk seit 2023 eine GmbH steht, also: eine eigene Rechtspersönlichkeit mit beschränkter Haftung. In dieser »Werk Clubkultur GmbH« ist Stefan Stürzer alleiniger Gesellschafter. Jene Person, die das Werk 2006 als Kulturverein gründete, das Werk zu einem, man muss es sagen, gescheiten Club in Wien machte – und 2023 im Zuge von »Techno-Me-Too« gecancelt wurde.
Stürzer trat nach (aber »nicht wegen«) den Anschuldigungen als Geschäftsführer im Werk zurück. Seine ehemalige Assistentin und die Buchhalterin des Werks übernahmen »übergangsmäßig«. Weil man »weiteren Schaden« von der Location abwenden wollte, wie es damals hieß. Und weil beide von den mutmaßlichen Übergriffen »nichts gewusst« haben sollen.
Kann man alles im Internet nachlesen, jedenfalls: Die sogenannte Firma, die seit Oktober 2023 eine GmbH ist und Stefan Stürzer gehört, wurde nie verkauft. Das dürfte auch nie im Interesse des Eigentümers gewesen sein. Warum? Weil das Werk langfristig Geld abwerfen kann. Und weil niemand irgendeine GmbH übernimmt, wenn sich der Club ganz einfach mieten lässt.
Mein Steuerberater hat mir »danke der Nachfrage« ein paar Zahlen genannt, die ich mir natürlich nicht gemerkt habe, bis auf: Es gibt auch »steuerliche Vorteile« für GmbHs, wenns ums Vermieten von Immobilien geht. Irgendwas mit Körperschaftssteuer und Kapitalertragssteuer, jedenfalls »lohnt« sich das bei so einem Betrieb »ganz gut«. Sofern keine Privatperson, sondern eine Firma dahintersteht.
Man muss sich halt auskennen, sonst wird es meistens kompliziert. Auch weil die wichtigen Beteiligten entweder gar nix sagen oder Zib2-Antworten abstottern – »im Interesse aller« und »mit bestem Wissen« verabschiedet man sich von den Zuseherinnen und Zusehern am Donaukanal.
Übrig bleibt das Werk, ein verwaister Club? Nicht ganz. Das Programm im Werk taugt zwar zuletzt als Spittelauer Praterdomeableger, aber Bro: »Wenn die Prüfungen erstmal vorbei sind, kann die Party schon am DONNERSTANZ starten!«
Gut, kann einem ja wurscht sein, was da los ist. Außerdem saufen die Studenten noch ordentlich Vodkamakava und verköstigen nicht bis sieben in der Früh das Wiener Hochquellwasser. Wer aber wie ich in der Vergangenheit die ein oder andere gute Nacht im Werk verbracht hat, verdrückt ob dieses Provinzprogramms ein Ecstasytränchen.
Hat man seine Sachen als Veranstalter:in aber halbwegs beinander, veranstaltet man nicht mehr im Werk. Man tritt dort auch nicht mehr auf. Die Glaubwürdigkeit ist weg, der Schatten zu lang. Das will jemand ändern und fett NEUÜBERNAHME JETZT WIRKLICH drüberpinseln. Ist halt noch nicht passiert, könnte noch kommen. Profitieren wird jedenfalls nicht irgendjemand, sondern Stefan Stürzer.
Schließlich muss das Alpenkraut ja weiter finanziert werden.
Grundrauschen gibt’s gratis
Abodrücken kostet nix
Berserker du Oasch sagen kostet nix
Radio Gaga
Heute ist der dritte Dienstag im Monat, das heißt: Heute ist wieder Grundrauschen auf Radio Orange 94.0.
Rico Mynthen im Interview
RICO MYNTHEN ist seit Herrschaftszeiten Hälfte der Fluchtachterlrockband DAZED PILOTS. Dass er solo so seine Sachen macht, wissen nur die, die es wissen müssen. Vorerst. »Farewell, Bulimic Twin« (VÖ: 15.3.2024) ist eine Sammlung von schwerschönen Liedern, für die man sich niederknien mag, aber es wegen vieler Scherben am Boden des fragmentierten Künstlerichs doch bleiben lässt. Geplaudert hat RICO MYNTHEN jedenfalls gerne, was schön ist, weil man ihn hören sollte.
Wie oft schaust du am Tag in den Spiegel?
Rico Mynthen: Du meinst den Spiegel hinter mir? Fast nie!
Du schaust dich ungern an?
Rico Mynthen: Wenn andere zuschauen, nicht, nein, das wirkt ja so eitel! Der Spiegel muss aber nicht immer eine Spiegelfläche sein, in der man sich anschaut. Man kann ihn auf was Kopfmäßiges beziehen – ein Spiegel als Bewusstsein seiner selbst. Plötzlich stellt man sich vor, was man sein will und dadurch verliert man, was man eigentlich ist.
Wie sagt man da, du hältst dir einen Spiegel vor?
Die Lieder sind nicht deshalb entstanden, weil ich mir gedacht habe, hey, das sind wichtige Themen, darüber schreib ich jetzt. Ich kann nämlich nichts anderes, als über mich zu schreiben. Wahrscheinlich bin ich wirklich narzisstisch.
Ja?
Rico Mynthen: Ich will nicht bewusst narzisstisch sein, aber die Selbstbetrachtung gibt am meisten her. Vielleicht bin ich auch zu ungebildet, um mir zuzutrauen, die großen Themen anzusprechen. Jedenfalls kann ich es nicht. Wenn ich mich hinsetze, schreibe ich über das, was sich anbietet: Das sind Texte über meine Befindlichkeiten. Sie sind mein Spiegel.
Und du wirst zur Spiegelfläche für andere?
Rico Mynthen: Das hat mir zumindest noch niemand gesagt. Vielleicht würde mir das sogar Angst machen. Es sind ja triste Themen.
Angst, weil du dich ertappt fühlst?
Rico Mynthen: Naja, ich hoff ja, dass ich ein lieber Mensch bin, aber: Würd ich mit jemandem wie mich abhängen? Eher nicht. Auch weil ich ja Leute kenne, die anders sind als ich, mit denen hab ich mehr Spaß.
Ganze Interview? Bei der mica!
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Stefan Németh von Innode im Interview
INNODE veröffentlichen mit »grain« (VÖ: 19.04.2024) ein neues Album auf Editions Mego. Hat man von der Klangbaudreiecksbeziehung zwischen BERNHARD BREUER, STEVEN HESS und STEFAN NÉMETH einmal gehört, weiß man: Die Top-Forty werden’s eher nicht. Deshalb kommt die dritte Platte wie auch ihre vorangegangen auf Mego raus, was passt, weil dort steht elektronische Musik auch nach Peter Rehberg mit dem Rücken zum Dancefloor, das heißt: Kopf ein, Körper aus. Und bitte nur die richtigen Fragen.
Suchst du nach dem perfekten Loop?
Stefan Németh: Eher Bernhard [Breuer, Anm.], er hat eine Faszination für unrunde Rhythmen entwickelt, weil er sein Spiel am Schlagzeug loopt und darüber improvisiert. Dieses Unrunde kommt bei uns immer wieder vor, ist aber nicht immer als Schlagzeug erkennbar, was spannend ist, weil ich mich daran abarbeiten kann. Diese holpernden Strukturen sind ungewohnt für mich. Ich baue eher einzelne Sounds, die ich isoliert bearbeite, um sie miteinander in einem spielerischen Pattern funktionieren zu lassen.
Wie meinst du das?
Stefan Németh: Wenn ein Loop in sich Überlagerungen und Verzögerungen hat, stelle ich mir die Frage: Wie kann ich es steigern? Und vor allem: Wie bekomme ich einen Verlauf hinein, der künstlerisch Sinn macht, also auch zu Brüchen führt, die mich überraschen können. Das führt manchmal bis zum Braimix.
Zu Innode gehören neben Bernhard und dir auch Steven Hess. Was kam von ihm?
Stefan Németh: Auf der aktuellen Platte zu wenig, weil er gesundheitlich verhindert war. Dadurch konnten wir nicht zu dritt ins Studio, was schade ist, weil das gemeinsame Recording bei uns den energetischen Unterschied macht – gerade zwischen Bernhard und Steven. Beide verstehen sich wahnsinnig gut, arbeiten aber in unterschiedlichen Registern. Während Steven mehr abstrakt in Sounds arbeitet, fokussiert sich Bernhard auf konkrete Rhythmik. Das hätte ich gerne live eingefangen, so ist die Platte überwiegend künstlich entstanden, mit dem Hin-und-Herschicken von Files.
Das bedeutet auch: mehr Arbeit für dich?
Stefan Németh: Definitiv, außerdem ist die große Herausforderung, Platz zu lassen. Wenn man nämlich die einzelnen Tracks hört, klingt das nicht nach viel, es ist aber im Detail viel Kleinzeug, wofür ich Räume schaffen will. In der Hinsicht habe ich viel von Nik Hummer gelernt, er hat ein tolles Verständnis dafür, welche Sounds er im Mix welchen Platz zuweist.
Ganze Interview? Bei der mica.
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Was diesen Monat rauscht
Dorian Concept – Hide
Man darf das alles haben, ein anstrengendes Gemüt, eine Lebensversicherung, dreiundzwanzig Katzen, aber bitte, wenn Mister Johnson sagt, es ist wieder Zeit für die Musik, dann hat man das alles bitte einzustellen, weil zuzuhören.
Draugr – Unter Yggdrasils Schatten
Österreich ein schönes Land und so viel Ärger.
Nový Svět – DeGenerazione (Quindi Records)
Tun wir so, als kennen wir die Geschichte, weil 1997 ist lange her und auf Wikipedia steht es ja auch, da darf man auf keinen Fall zitieren, aber glauben darf man alles.
Svila – Svila
Es gibt Musik, die ist wie Intros bei Netflixserien, wo man immer gleich auf skip klickt, weil bitte, hat man eine gesehen, hat man sie alle gesehen.
Spargelterror – Saisonarbeit
Ja heut ist Spargelzeit, es ist so weit, was haben wir uns lang gefreut!
FX666 – Cron / 8084
Und der Preis für das Ländlewerk in der Kategorie PfänderbohrungbismanimBregenzerwaldrauskommtambient geht an diesen jungen Mann, Applaus!
Zanshin – Unsung (Affine)
Im allgemeinen Ambientschwachsinn rauszustechen, das muss man erstmal hinkriegen, will man hier ein paar nette Worte aus mir rauskitzeln, also: Zanshin, du schwarzer Gürtel, i leg mi danieder vor lauter Schee!
Backwards Charm – A Dream About Being A Person
Menschen in Carhartsshirts und Vans und allem, sie machen immer dasselbe und nennen es dann DREAM POP, weil das Joy-Division-Tattoo muss sich ja lohnen.
Hardy Fox – Hardy Fox (Klanggalerie)
Eigentlich wollt ich mich über das Cover lustig machen, aber dann hab ich mich erinnert, an diesen sehr guten Spruch von Harald Schmidt, der ging so circa: Jaha, jetzt mach dich da mal lustig darüber, ohne eine Minderheit zu diskriminieren. Also gut, dann nicht, auch weil der Typ wohl wer ist, den man kennen sollte, wenn man, was ich mache, um GELD zu verdienen.
Aleksey Vylegzhanin & Sylvia Sallegger – Orgelklänge (Steirischer Tonkünstlerbund)
Orgeln, ich wiederhole: Orgeln! Sie machen das Leben gut, ist ja egal, was da rauskommt.
Bydl – Flora Shell Loop: Bärlauch Over Schlager
Aha, da stopft jemand Blumen in Kassetten, ich glaub, das war es dann wieder mit dem Internet für heute.
Fraeulein Astrid – my therapist says you're an asshole
Mir ist scheißegal, was dein Therapeut sagt, aber das viele Geld ist glaub ich ganz gut angelegt.
Oto Nagasaki – oh no
Oto weiß genau, wie sich so eine Wurzelbehandlung mit Spritze und ohne Narkose anhört. Genau so nämlich.
adamello – Turmoil
Musik, die mich an irgendwas ganz Warmes aus meiner Kindheit erinnert, ich hoff, es ist nicht die Brechdurchfallnacht von 1995.
kogawar – Blutschleim
Ganz ehrlich, es gibt nix Besseres, als nach dem Aufstehen bei einer Tasse Coldbrewmatchamandelmilch ein bisschen gemütlichen BREAKCORE zu hören.
Gerhard Heinz – The World of Hubert Frank
Letztens erst an ihn gedacht, bald ist er 100, der gute Gerhard Heinz, und leben dürft er immer noch, vielleicht ruf ich ihn wieder mal an.
Tian Fu – The Story of Croche 客饶舍的故事
Ich hab ja SCHON VIEL gehört, aber Halbmasthosenhiphop und NeueMusikMiene, das hat noch niemand gemacht, vor allem nicht auf CHINESISCH, das ist wie Dilla und Stockhausen als achtschätzige Kernschmelze!
homme noir – extinct
Hätte gerne gelesen, was da steht, unter diesen krickelkrackeligen Caretrackerei, aber man kann es leider nicht lesen.
IEOGM - Marie Vermont & the concept horse – Department Store Vegetables
Ich schreibe Ihnen dieses alles aus einer anderen Welt, einer Welt des äußeren Anscheins. Die beiden Welten kommunizieren gewissermaßen miteinander. Das Gedächtnis ist für die eine, was die Geschichte für die andere ist. Eine Unmöglichkeit.
The Goatjuring – The Chemtrails Spell Annihilation
Blackmetalleute mögen David Lynch, große Überraschung, aber wenn man es dann hört, doch ein freudiges Erlebnis.
Kiki Pop (Wilhelm Show Me The Major Label)
Mittlerweile ist dieser ganze Autotune-Lowfipop-Scheiß nimmer auszuhalten, MEINE MEINUNG, aber machts halt.
Michael Fischer & Valentin Duit – Reflections and Passage (Klanggalerie)
Musik, für die manche auf Klausur fahren, um endgültig abzuklären, ob es nun ECHTZEITmusik oder IMPRO oder einfach nur FREE JAZZ heißen soll.
Morbid Records – Vienna is Dead …
Wenn sehr viele Leute faden Techno machen, machen sehr viele Leute faden Techno und ein paar nennen es nur anders.
jeremy r.r. – go home & apologize
So kann man nur singen und gitarrespielen, wenn man aus Michigan kommt oder Idaho oder einem anderen Lagerfeuerort, wo man keinen Grünen Veltliner sauft, sondern in ECHTEN GESCHICHTEN ertrinkt.
O.R.F. – I
Irgendwie ein schöner Gedanke, die Dorfpunks verschwinden nie, sie heißen immer noch Wolle oder Mo und machen was aus ihrer Jugend, während ich damals nur gesoffen hab.
Fennesz – Sognato di Domani
»Venice« von Fennesz wird 20, da kann man mal wieder reinhören und weil die Leute heute immer was EXTRA haben müssen, gibts das halt dazu, zur LIMITED-Box oder dem REMASTER-Album.
Hunt – Radiance and Regret
Da sind ein paar gute Features drauf, aber dann klingt das wie jede Krankyplatte, so richtiger Heulsusenambient, und da reagier ich mit körperlichen Kraftausdrücken, leider.
Bevor wir auseinandergehen …
Wer bis hierher liest, weiß es eh. Oder auch nicht, ist ja fast egal, außer für mich: Ich bin nämlich in Warschau und werd da auch bleiben, zumindest vorerst, wer weiß. Über das GANZE HIER schreiben werd ich trotzdem weiterhin und sicher auch mal so schöne Sätze wie: AUS DER DISTANZ IST WIEN JA GANZ TOLL! Na ja, hoffentlich nicht.
Dir gefällt Grundrauschen? Rausch halt mit.