Hi, mein Name ist Christoph Benkeser. Du bist bei Grundrauschen gelandet, einem Newsletter zu sogenannten Subkulturen in Österreich. Hier schreibe ich einmal im Monat auf, was in der österreichischen Musik noch passiert, außerdem gibt es aktuelle Veröffentlichungen, die gut sind oder schlecht.
Heute im Newsletter: Die Liebe hat gewonnen. Interviews mit Ben Clean und Bernhard Kern und Afrodeo. Außerdem: die begnadetsten Musikanten des Landes.
Grundrauschen zum Tag
»Kunst, Kultur, das ist das Selbstverständnis auch Österreichs«, sagt der Bundeskanzler und reibt sich die Glatze mit Vaseline ein. Ich finde ja, das ist eine gute Sache. Also, das auch mal in aller unzweideutigen Deutlichkeit zu zeigen. Es ist nämlich wirklich wunderschön. Der JJ, danke JJ, die Liebe, JJ, so schön.
»Es braucht keine Widersprüche zwischen Oper und Popularmusik«, rülpst dann der Andi rein, klarerweise ein Kulturminister, nachdem er zuvor schon seinen frühschoppenden Damenspitz auf dem Weg nach Wien-Schwechat rausschwitzen musste.
Und die Außenministerin, die Beate, die hat heute ganz müde Augen. Nicht wegen des Messweins, nein. Dabei war sie eigentlich gerade noch auf göttlicher Mission oder zwischen den Göttern des Gemetzels, jedenfalls im Vatikan. Gott sei Dank hat sie aber noch rechtzeitig den Stream »aufgedreht«.
Ja, da lächelt der JJ im Bundeskanzleramt. Ich lächle auf der Couch. Das ist doch alles wunderbar. Das ist doch alles richtig gut.
Und das muss ich hier auch einfach mal schreiben. Dass das sehr gut ist und dass es nichts zu schimpfen gibt, dass ich über gar nichts schimpfen mag, außer vielleicht über diesen Festwochendurchfall am Rathausplatz. Aber nein, nein, nein. Ich bleibe positiv.
Weil ich mich ja jetzt wieder erinnere, an den Songcontest in Wien, damals, während meiner öffentlich-rechtlichen Schleusenbekanntschaft, als sogenannter Floor Manager – ein vertrottelter Titel für eine Zeit, die, ich kann es mit zehn Jahren Abstand schon sagen, eigentlich sehr super war.
Aber heute ist tomorrow, sagt Moneyboy. Und weil der ja immer ganz recht hat, singe ich Mi Amore, Espresso Macchiato, Por Favore für die Katzen und vollkommen falsch und denke mir: Die Liebe, die hat tatsächlich gewonnen, dieses Mal.
Grundrauschen gibt’s gratis
Radio Gaga
Heute ist der dritte Dienstag im Monat, das heißt: Heute läuft leider Grundrauschen auf Radio Orange 94.0.
Ben Clean im Interview
BEN CLEAN bestellt ein Leitungswasser, sagt: „Darf ich mir noch eine Tschick von dir schnorren?” Und das könnte, aus seinem Mund kommend, eine super Songzeile sein. Schließlich ist BEN CLEAN ein super Songschreiber, wahrscheinlich sogar „ein super Typ”, wie ihm das super Radiomenschen vom super Radiosender attestieren. Jedenfalls kann CLEAN, der sonst KLIEN heißt und nicht BEN, sondern BENJAMIN, schon auf eine super Zeit zurückblicken. Und das, obwohl das erste Album erst kommt. „Groß Werden” wird es heißen und bei einem super Label aus Berlin erscheinen (Eintracht Pankow, VÖ: 23. Mai 2025). CLEAN hat vorab ein bisschen geplaudert.
Du hast vorhin jung und naiv gesagt. Vielleicht könnte man auch sagen: Du bist absolut in der Gegenwart?
Ben Clean: Ja, dort möchte ich hin. Oder: Dorthin will ich zurück. Als Kind ist es ja genau so. Du nimmst nur im Jetzt wahr und bist von allem beeindruckt. Jetzt schau dich mal um. Die Sonne scheint. Dort vorne ist eine wunderschöne Kirche. Wir trinken Kaffee neben pinken Blumen. Wenn du das nicht mehr sehen kannst. Wenn du vergisst, wie es ist, das Leben wahrzunehmen. Dann ist es wirklich fad und traurig und schlecht.
Also: das Leben als Einstellungssache?
Ben Clean: Es ist eine Einstellung zum einfachen Erleben. In der Musik ist es für mich genau so. Klar denke ich mir manchmal, shit, das sind jetzt nur vier Akkorde – aber wie geil …
Können diese vier Akkorde sein?
Ben Clean: Ja, der Gedanke, dieser Moment. Da analysierst du nicht, du ordnest das nicht ein. Du hörst es einfach unvoreingenommen und findest es irgendwie. Vielleicht sogar so, dass es mit dir resoniert, also etwas auslöst, das dich weiterbringt.
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Afrodeo im Interview
Als AFRODEO hat EVRIM KUZU viele Jahre Hip-Hop gemacht, auf Türkisch, seiner Muttersprache gerappt. Inzwischen setzt er weniger auf 16 Zeilen, dafür häufiger auf die vier Spuren seines Tape-Recorders. Das klingt nach Ambient, am besten sagt man experimentelle Kassettenmusik dazu.
Wenn ich sage, dass es schön klingt, ich aber nichts verstehe. Ist das für dich ein Problem?
Afrodeo: Ja, weil meine Nachricht nicht ankommt. Trotzdem wollte ich meine Geschichte in den letzten zehn Jahren genau so schreiben – auf Türkisch, in meiner Muttersprache.
Weil du dich so an dich erinnern möchtest?
Afrodeo: Das mag übertrieben klingen, aber: In den Songs steckt mein Leben. Sie sind wie ein Audiotagebuch. Also ja, ich will mein Leben in dieser Sprache, in diesem Ausdruck in Erinnerung behalten.
Bist du dir so näher als auf Deutsch?
Afrodeo: Ich könnte mir auch auf Deutsch oder Englisch nah sein, aber ich wollte nicht auf Deutsch oder Englisch rappen. Das heißt nicht, dass die unterschiedlichen Sprachen, die ich spreche, nicht meinen Ausdruck auf Türkisch bereichern. Sie sorgen für Spannung, haben immer unterschiedliche Geschwindigkeiten. Dadurch klingen sie anders. Ich klinge anders. Sogar meine attitude klingt deshalb anders. Das ist ähnlich wie bei Gedichten. Die Übersetzungen mögen gut sein, aber es geht darin etwas verloren, das mehr ist als die Sprache selbst.
»Sehr geehrter Herr Berserker …
Mit meinem neuen Lied „Das Lebn is a Märchenbuach“ möchte ich daran erinnern, dass das Leben – trotz aller Höhen und Tiefen – ein Geschenk ist.« (Promo-Mail von Gernot Unterweger)
Bernhard Kern (Siluh) im Interview
Ein bisserl Bauchweh habe er schon, schreibt mir BERNHARD KERN nach unserem Gespräch. Manche Dinge hätte der Siluh-Records-Macher und Plattenladenbesitzer und Diese-große-Band-fast-Entdecker nämlich gerne anders gesagt, also lieber gar nicht gesagt. Und weil das im avancierten Musikjournalismus natürlich immer geht – Dinge nicht sagen, die davor anders gesagt wurden –, geht das hier eben auch.
Siluh wird nämlich 20. Da kann man schon mal ein paar Geburtstagsgeschenke verteilen. Es ist ja wirklich ein tolles Label. Was da schon für tolle Bands veröffentlicht haben, so viele, wirklich viele. Ein paar kann man sogar sehen und hören, beim tollen Siluhrama Festival, das am 13. und 14. Juni 2025 im WUK passiert. Oder man schaut im tollen Siluh-Laden vorbei und unterhält sich ganz klassisch – man kann ja später immer noch was anderes sagen.
Wie macht man 20 Jahre ein Label wie Siluh?
Bernhard Kern: Das erschreckt mich immer wieder, weil: 20 Jahre ist schon lang. Aber was soll ich anderes machen?
Es gab nie einen anderen Plan?
Bernhard Kern: Siluh war ja nie nur ein Label. Ich war immer nah mit den Künstler:innen, auch wenn ich mich damals wie heute gegen den Managementbegriff sträube – das klingt ja eher nach …
Pelzmantel-Gestalten mit Zigarre im Mundwinkel?
Bernhard Kern: Na ja, der Labelboss ruft ja eine ähnliche Assoziation hervor, oder?
Früher ließ sich das entschärfen, indem man gesagt hat, dass man ein Indie-Label macht.
Bernhard Kern: Ja, mittlerweile ist die Frage aber: Was ist eigentlich ein Indie-Label? Ich bin mit dem Indie-Begriff sozialisiert worden, ich habe also eine Definition für mich. Aber die beinhaltet was anderes als, sagen wir … AnnenMayKantereit, die in der Musikwelt vielleicht auch noch in den Bereich Indie-Pop fallen.
Was diesen Monat rauscht
Bulbul – Wagen Pause Unwohl
Man kann es Kunst nennen, aber dann muss man auch Kacka dazusagen.
Betwixt – Traumzyklen
Man kann es Kacka nennen, aber dann muss man auch Kunst dazusagen.
Max Punz – Coloring the Corners I've Painted Myself Into
Ich find’s gut, aber ich finde ja auch Coldplay fantastisch.
Natasha Moreno – Unaware (sama recordings)
Wehe, da knackt jemand sein Dosenbier auf, weil das ist Bitte-seids-ein-bisserl-leise-Musik, ihr Wappler.
Apophis – The End of Society
Ja, puh, keine Ahnung. Ich glaube, Psytrance, oder wie nennt man das, wenn man als Kind in den Drogentopf gefallen ist.
The No Wow Wows – Demo II
Eure Freunde klatschen nach langen Gitarrensolos. Ihr habt viele Freunde. Also wird es schon passen, denke ich.
Stumbling Politely – Therapy For Fun
In der Bio steht was von frischer Wind und Punk, ich glaube es alles nicht mehr.
plow – Demo
Manchmal ist es einfach schön, wenn man ein gemeinsames Projekt hat und sich gemeinsam trifft und wieso muss nochmal das mit dem Projekt sein?
Minimal Bill – Balance
Wo ist Haftbefehl, wenn man ihn braucht.
Afrodeo – Demirvitrin
Teilweise geht’s dir so wie im siebten Bezirk, du verstehst kein Wort. Aber ja, das ist alles von der Experimentierfreudigkeit gedeckt. (Bitte, Bänger, letzter Track!)
dryba – Informativ - Hochaggressiv
Raus mit den Bengalos, das ist so radikal wie die Maywald im Morgenjournal.
Black Anthem – Fragments of Despair
Sie verhandeln die schönen Dinge im Leben, also die Hölle, das Leid und ja.
Fennesz – Live at St James's Church, Piccadilly
Jetzt wo es bald wieder wärmer wird, denk ich mir, das wird immer funktionieren, das wird nie nicht funktionieren, eigentlich eine Frechheit.
Prunknelke – Heimat/Zugehörigkeit
Die Leute heißen Lea und Mo und wahrscheinlich machen sie gerade eine richtig gute Phase durch.
Niklaas Kammerzelt – Tales of Droacs
Würde jetzt wirklich gerne einen Fiat Panda um die Nordschleife jagen, wenn ihr wisst, was ich meine.
Astro Black – Enigmatic Serenades 8 (Interstellar Records)
Man muss es wollen, aber gut, was muss man schon nicht wollen, im Leben.
Christian Bazant-Hegemark – Learning to Sleep
Eine Frage noch, hat es geholfen?
hazelnuss – Hazelnuss Vol. 1
Ja, ist einigermaßen lustig, das reicht dann eigentlich schon für hier.
FX666 – On An Ordinary Sunday
Muss an der Stelle zugeben, habe nicht alle zweieinhalb Stunden gehört, aber es ging ja schon vielversprechend los.
nekrodeus – Ruaß
Schon Adorno meinte, Blackmetal ist absolute Stille. Mit dem Wissen von heute versteht man das auch.
Low Life Rich Kids – Lieblingslieder (LasVegas Records)
Ich mein: »Der lyrische Überbau zwischen Aktivismus und Resignation/Taubheit wird durch das musikalische Fundament aus Hau-Drauf-Postpunk, Spoken-Word und mehrstimmigem Gesang, - gut zu hören beim Titeltrack des Albums - perfekt unterstützt.«
dorninger – RMX (base)
Die einen fahren zum Donaufestival, die anderen nach Linz Urfahr.
Buenoventura – Gelb (palazzo)
Alte Bauernregel: Wenn der Loop was taugt, darf er sich nicht ändern.
A Phan & FRNRKE – Step by Step
Kann man den Deutschen ja nächstes Jahr zum Songcontest schicken, ballert sicher besser!
Und hier alles für die buymusiccluber
Bevor wir auseinandergehen …
Der nächste ESC findet in Wels statt, Prost.
"sagt der Bundeskanzler und reibt sich die Glatze mit Vaseline ein" ist einer dieser Sätze, weswegen ich deine Schreibe so mag.