Plötzlich diese Übersicht!
Hi, mein Name ist Christoph Benkeser. Du bist bei Grundrauschen gelandet, einem Newsletter zur Radiosendung auf Orange 94.0. Hier bespreche ich einmal im Monat neues aus der österreichischen Musikszene, verlinke zu aktuelle Veröffentlichungen und lass es rauschen.
Heute im Newsletter: Ein Einblick in die österreichische Tapeszene, das unzensierte Interview mit HipHop Joshy und ein Gespräch zu Wiener Musikorten mit Heinrich Deisl. Außerdem: Neun Taps für den Badestrand.
Grundrauschen zum Tag
Was haben Billie Eilish, die neue Staffel von Stranger Things und ein Sonderangebot bei Eduscho gemeinsam? Sie alle sorgen dafür, dass sich Spulen wieder drehen, denn: Die Kassette feiere neben Vinyl und CD ein Comeback – heißt es seit mehreren Jahren von Punkbands wie Majorlabels, in Blockbustern und Serienschmafu, neben Filterkaffee und Leinenpyjamas.
Warum posen aber plötzlich 14-jährige Influencer:*innen mit Musikmedien, die älter sind als ihre Eltern? Wieso stauben immer mehr Mittdreißiger ihre Kassettensammlung aus Kindheitstagen ab? Und wer sorgt eigentlich dafür, dass immer noch neue Tapes erscheinen? Fragen, für die man in Wien schnell Antworten erhält, sobald man sich in seiner Tapeszene umhört. Eine Szene, die aus einzelnen Personen, kleinen Labels und einem gedanklichen Überbau besteht: Do it youself, mach’s einfach selbst!
Für ein Feature im kommenden The Gap Magazin hab ich mit Protagonist:innen der Tapeszene in Wien u.U gesprochen. Der Text erscheint demnächst. Die Interviews entstanden separat und stehen für sich. Sie machen aber auch in ihrer Verbindung Sinn. Deshalb erscheinen sie hier in einem imaginären Round-Table-Gespräch. Mit dabei sind Dominik Pilnáček und Raphael Fürli von Urban Lurk, Marie Vermont, Tony und Mel von Tender Matter, Andreas Haslauer von epileptic media und Lukas Löcker, der in Linz die Radiosendung »Tape That« hostet.
Stellt euch doch kurz vor – wer seid ihr und warum betreibt ihr ein Tapelabel?
Urban Lurk: Wir sind Dominik und Raphael, spielen unter anderem in der Band Parasite Dreams und haben Urban Lurk 2019 ins Leben gerufen – damals noch, um Shows zu veranstalten. Seit 2021 gibt es Urban Lurk auch als Tapelabel. Die zentrale Idee ist: die lokale Szenen und Subkulturen zu supporten und zu verknüpfen. Wir dubben meistens zu Hause auf drei Kassettendecks und stellen das Tape im Anschluss oft gemeinsam mit der Band fertig. Diese Tätigkeit und das Label sind für uns reine Liebhaberei. Wir machen alles nebenbei, abhängig von unseren zeitlichen Ressourcen und finanziellen Möglichkeiten.
Marie Vermont: Ich mache und veröffentliche gerne Musik und Geräusche auf eigenen und anderen DIY-Labels. Das vermischt sich zuweilen auch mit meinen visuellen Arbeiten und Bildern.
Tender Matter (Tony): Ich trete als Tony Renaissance auf und betreibe das Musiklabel Tender Matter mit Mel. Außerdem habe ich die Veranstaltungsreihe The Future mitbegründet und ich bin Teil des Sounds Queer?-Kollektivs. Neben dem Produzieren von Musik liegt mein Fokus auf der Förderung der Arbeit von queeren und gender nonkonformen Künstler:innen in der elektronischen Musik.
Tender Matter (Mel): Tony und ich haben das Label 2019 gegründet, es ist eine natürliche Erweiterung unserer Veranstaltungsreihe, die es seit 2018 gibt und die sich auf experimentelle elektronische Musik und auf queere Künstler:innen konzentriert. Nebenbei bin ich akademische Wissenschaftlerin zum Thema experimentelle und gegenhegemoniale Musik.
epileptic media: Mein Name ist Andreas Haslauer, ich betreibe seit 2009 das DIY- und non-profit-Label epileptic media. Davor hatte ich mit Noise Park Activities bereits ein Label, bei dem der Schwerpunkt auf experimenteller elektronischer Musik und Noise lag. Mit epileptic media habe ich mich anfangs auf Grindcore und Punk fokussiert und internationale Artists veröffentlicht. Mittlerweile ist es eher Undetgroundmusik aus Österreich und mehr Jazz, No Wave, Noise Rock oder Tapeloop-Wahnsinn und irgendwelche hinigen Live-Mitschnitte. Allerdings ist demnächst Schluss mit dem Releasen. Ich brauch eine Veränderung, werde aber weiterhin Kassetten sammeln und mit Tapeloops arbeiten.
Lukas Löcker: Ich arbeite als Universitätsassistent in der Abteilung Mediengestaltung an der Kunstuni in Linz. Auf dem freien Radiosender FRO beschäftige ich mich seit ein paar Jahren mit der Kassette. Im Rahmen meiner Sendung »Tape That« lade ich Künstler:innen ein, mit mir über ihre Lieblingstapes zu sprechen.
Ihr kommt aus unterschiedlichen Hintergründen. Welche erste Erinnerung verbindet ihr mit dem Medium Kassette?
Lukas Löcker: Für mich ist es das Hören von Kinderkassetten und Hörspielen auf der einen, aber auch selbstständiges Recorden übers Mikro auf der anderen Seite. Meist hab ich Fantasie-Songs aufgenommen, oder fiktive Radiosendungen mit meinen Freunden oder meinem kleinen Bruder.
epileptic media: Ja, ich hab als Kind Pumuckl und andere Märchen auf Kassette gehört. Ob beim Spielen oder zum Einschlafen, Tapes waren immer da.
Marie Vermont: Für mich ist es die Erinnerung ans Autofahren. Ich saß auf der Rückbank, vorne plärrte das Kassettenradio. In der Volksschule hab ich außerdem mit einem Schulkollegen Krampuskassetten aufgenommen – das war wie eine Sportmoderation im Radio, aber zu einem fiktiven Krampuslauf.
Urban Lurk (Raphael): Ich hahtte auch Hörbücher auf Kassette, zum Beispiel von Benjamin Blümchen und den Die drei ???. Außerdem habe ich mit Freunden eigene Radioshows auf Kassette aufgenommen und selber gehört.
Tender Matter (Tony): Als ich acht Jahre alt war, bekam ich zu Weihnachten ein Diktiergerät. Das hab ich überall mitgeschleppt. Ich nahm alles auf, was in meinem Leben passierte, bis ich 14 oder 15 war. Ich liebte es, Mixtapes mit Songs zu machen, die im Radio gespielt wurden und meine eigenen Radiosendungen aufzunehmen. Außerdem hörte ich gerne Hörbücher auf Kassette. Ich hatte eine große Sammlung, da ich drei ältere Geschwister hatte, die schon in den 80er- und 90er-Jahren Kassetten gesammelt hatten.
Tender Matter (Mel): Ich bin in den 1980er-Jahren aufgewachsen, habe also die goldene Ära der Hörkassetten miterlebt. Musik war schon immer wichtig für mich, als eine Form der Flucht aber auch der Verbindung. Als ich zwölf Jahre alt war, hörte ich zum ersten Mal »Lovesong« von The Cure und war sofort süchtig. Ich fing an, Audiokassetten zu kaufen und stundenlang vor dem Radio zu sitzen – den Finger auf der Aufnahmetaste meines Soundsystems – um »Lovesong« aufzunehmen. Dieses Ritual setzte sich über Jahre hinweg fort: Ich machte Mixtapes, indem ich Songs aufnahm, von Schallplatten oder Kassetten und später auch CDs. Kassetten waren aber immer ein Medium, das mich faszinierte. Es gab so viele: BASF, Maxell und TDKs waren meine Favoriten damals. Ich hatte kistenweise grob bespielte Mixtapes, alle voll mit Synth- und Post-Punk-Songs in rauscher Qualität, trotzdem liebte ich sie.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, Musik auf Tapes zu veröffentlichen?
epileptic media: Auf meinem ersten Label hab ich nur CDs veröffentlicht. Mit 16 Jahren entschied ich mich, den ersten Kassettenrelease rauszuhauen – eine c60 mit vier verschiedenen Projekten, richtig schlecht gedubbt auf einem alten Tapedeck von meinem Opa. Die Kassette war zu dieser Zeit ein Medium, das wirklich keiner mehr brauchte. Außerdem war ich meistens blank. Es war also eine gute Chance, kreativen Output zu haben, ohne viel Geld auszugeben. Ich hab bei Flohmärkten große Sammlungen für ein paar Euro gekauft. Es gab auch Websites, auf denen man billig Restbestände kaufen konnte.
Marie Vermont: Mit 19 oder 20 hab ich auf der Straße ein Tapedeck gefunden und dann in einem Second Hand-Lager 100 Stück originalverpackte C40-Kassetten für acht Euro gekauft. Mit Matija Kac gründete ich zur gleichen Zeit ein kleines DIY-Label: Free Christian Ringtones. Wir haben zwar meistens auf CD released, ich hab die Tapes aber gleich mit einem trashigen Hörspiel und einem Livemitschnitt einer Bandprobe eingebaut. Die restlichen Tapes sind bei Digitalstoneage rausgekommen. Ab da hatte ich immer ein paar Tapes für spontane Überspielungen und Kollaborationen auf der Seite. Über eigene Ressourcen zu verfügen, um unzensuriert Dinge zu vervielfältigen ist für mich wichtig. Da ich zeichne, male und drucke geht das mit dem Cover auch schnell.
Lukas Löcker: Meine Kindheit war von der Kassette bestimmt. Das erklärt auch meine allgemeine Affinität zu analogen Musikträgern. Dass ich Tapes gut 20 Jahre später wiederentdeckt habe, passierte aber über den Umweg der Zwei- bzw. Vier-Spur Magnetbänder. Bandmaschinen wurden schließlich eine Konstante in meinen Installationen und Performances. Deshalb hab die alte Kompaktkassetten meiner Kindheit und Jugend wieder ausgegraben – das hat mich u.a. zu meiner Radiosendung inspiriert!
Tender Matter (Mel): Die Geschichte bewegt sich im Kreis, es ist nur natürlich, dass Kultobjekte in der Gegenwart wieder auftauchen. Tonbänder und Schallplatten haben ihren Status aus der Vergangenheit bewahrt und auf diese Weise immer noch einen Einfluss auf das Publikum.
Urban Lurk: Für uns gibt es mehrere Gründe, warum wir auf Kassetten veröffentlichen – hauptsächlich aber, weil sich das Mensch noch leisten kann. Man kann die Tapes zu Hause dubben und selber fertigstellen. Um einen Vinyl-Release unabhängig zu veröffentlichen, braucht man ganz andere Summen … Der Stil bzw. die Ästhetik sowie Nostalgie spielt natürlich auch eine Rolle. Und: Tapes waren im Musikunderground immer präsent – ob als Hip Hop-Mixtapes, Metal-Bootlegs oder im Techno. Ein weiterer Grund hängt zusammen mit unserer Bubble, also mit gewissen Underground-Szenen, einem DIY-Ansatz und unseren Freunden. Wir nehmen die letzten Jahre einen Boom im Kassetten Underground wahr. Da wird getauscht, gedubbt und verschenkt. Natürlich wird auch verkauft, dabei geht es aber hauptsächlich darum, die Produktionskosten wieder reinzubekommen.
Was findet ihr an Tapes spannend?
Urban Lurk (Dominik): Der komprimierte Sound von Tapes macht viel aus. Außerdem lässt sich eine Kassette leicht in der Hosentasche transportieren. Man kann beliebig kleine Auflagen machen, es ist deutlich billiger als Vinyl. Natürlich sind Tapes auch schöne Sammelobjekte. Deshalb kaufen manche Tapes, ohne sie jemals anzuhören – weil man eh den Download-Code für Bandcamp dazubekommt.
epileptic media: Von der Haptik fand ich Tapes immer cool – es gibt etliche verschiedene Typen, ob vom Look oder vom Band her. Man kann sich geile Mixtapes machen oder Loops selber schneiden, schnell mal einen Release rauspfeffern, ohne groß in die Tasche greifen zu müssen. Zu der Zeit, als ich das Label startete, waren die Dinger für die meisten Menschen Müll – ein veraltetes Format, niemand wollte sie. Für mich war es eine Art Recycling.
Marie Vermont: Neben der Haptik ist es auch das Grundrauschen. Da ich hauptsächlich alte, geschenkte und gefundene Tapegeräte zur Verfügung habe, rauschen sie schön warm. Ich mag das. Es ist wie eine akustische Wärmeflasche. Außerdem sind Tapes günstig zu bekommen, einfach zu überspielen und das Cover geht sich auf einer A4 Seite aus.
Lukas Löcker: Das »Artefakthafte« und die vielseitigen Gestaltungsformen, die Tapes inhärent sind, finde ich spannend. In Bezug auf den Klang ist es vor allem die Wärme und die divergierende Präsenz unterschiedlicher Instrumente – aber auch die leichte Verzerrung und Bandabnutzung, die zu einer Art sonischen Patina führt.
Tender Matter (Mel): Was auch wichtig ist: Im Laufe der Zeit konnten Tapes ihre Aura als ein Objekt bewahren, das für den Underground und die Anti-Mainstream-Musik steht. Deshalb interessieren sich immer noch Menschen für Kassetten, selbst wenn digitale Angebote längst einfacher, billiger und in höherer Qualität zu haben sind.
In den letzten Jahren veröffentlichen wieder mehr Labels aber auch Künstler:innen DIY auf Tapes – zum Teil sogar Majors und Superstars. Warum gibt es diesen Trend der Kassette?
epileptic media: Die meisten Major Labels lassen keine Chance aus, irgendwie Kohle zu machen. War aber schon immer so: Alles was im Underground wächst, läuft Gefahr, als Trend verscherbelt zu werden. War ja bei der Platte ähnlich. Ist aber halb so schlimm, es kommen nach wie vor kleine, coole Underground-Labels daher.
Marie Vermont: Die Verkommerzialisierung des Internets und Streaming-Dienste erschweren für mich das Konsumieren von atypischer Musik. Tapes füllen diese Lücke gut. Gleichzeitig wird in vielen Bereichen – auch außerhalb der Musik – durch Retrospektive versucht, neues Kaufpotenzial zu gewinnen, zum Beispiele mithilfe rückwärtsgewandter, romantisierender Emotionen einer Vergangenheit, die es so nie gegeben hat. Das ist Retro-Fi statt Sci-Fi und unterstützt das Augenmerk auf Kassetten zusätzlich. Für mich bleiben Tapes trotzdem ein zeitloses Medium. Trendwellen flauen auch wieder ab.
Urban Lurk: Der Retro-Aspekt ist wichtig. Das Revival der 80er- und 90er-Ästhetik spielt schließlich in die Rückkehr von analogen Tonträgern hinein. Ein Phänomen, das man allgemein in der Popkultur sieht. Natürlich hängt der Trend zum Tape auch damit zusammen, dass man es als Künstler:in nicht so einfach hat, unabhängig eine Schallplatte zu veröffentlichen. Dafür ist ein Label und das nötige Geld notwendig. Gleichzeitig releasen Majors wieder mehr auf Tape, weil sie merken, dass Menschen bereit sind, für physische Veröffentlichungen Geld auszugeben.
Lukas Löcker: Ich sehe zwei Dynamiken. Zum einen verstärkt in etlichen Bereichen die vermehrte Digitalität das tendenzielle Verlangen nach haptischer medialer Repräsentation. Zum anderen sind absurderweise Tapes für Majors und Underground gleichermaßen interessant geworden – die Gründe scheinen mir allerdings diametral: im ersten Fall gilt es als Prestige dieses Medium auch anzubieten, bzw. den aktuellen Trend zu erkennen und zu nutzen. Im zweiten Fall gründet die Nutzung auf der günstigen und leichten Verfügbarkeit der Kassette.
Tender Matter (Mel): Das lässt sich zusammenfassen: Wir sehnen uns nach einem Objekt. Wir vermissen die Aura, den Fetisch, die originellen Cover und ihre Greifbarkeit. Was ist der Reiz einer riesigen MP3-Bibliothek? Es gibt keinen, denke ich.
Heinrich Deisl im Interview
»Musikorte lassen Rückschlüsse auf die Verfasstheit einer Stadt ziehen«, sagt Heinrich Deisl. Der Musikjournalist, Radioproduzent und Kulturwissenschaftler legte zuletzt eine Doktorarbeit zum Thema vor: »Wiensounds. Topografie Wiener Soundkulturen 1976 bis 1995« heißt die 282-seitige Arbeit, mit der sich Deisl mit den Anfängen der Wiener Popkultur beschäftigt. Unter der Betreuung von Diedrich Diederichsen und Katharina Gsöllpointner packt Deisl den Werkzeugkoffer der Cultural Studies im Kellerclub des alten Flex genauso aus wie in der Hausbesetzerszene des autonomen Kulturzentrums Gassergasse. Er beleuchtet die Rolle aufkommender Szenehotspots wie WUK, Blue Box sowie U4 und spricht mit damaligen Protagonist*innen. Seine zentralen Fragen: Welche Rolle nahmen Locations zwischen Besetzung der Arena und der Gründung des Radiosenders FM4 in den Wiener Soundkulturen ein – und wie veränderten sie Popkultur?
Brauchte es zuerst den Ort für die Popkultur oder viel eher die gesamtgesellschaftliche Dynamik, um popkulturelle Orte zu ermöglichen?
Heinrich Deisl: Eine Frage, die sich nicht einseitig beantworten lässt. In »Wiensounds« geht es primär um Musikorte oder das, was ich Locations nenne. Schließlich muss man definieren, was eine Location zu einer Location macht –nicht nur um zu sagen, was eine Location ist, sondern um, anhand sozialer Interaktionen, Rückschlüsse auf die Verfasstheit der Stadt zu ziehen. In der theoretischen Auseinandersetzung mit Popkultur geht es nämlich immer um das, was man als ihr Zentrum festmacht. Normalerweise ist das der oder die Musiker*in. Diederichsen definiert das Zentrum der Popmusik zuerst im Produktionsstudio, legt sich aber später auf den oder die Rezipient*in fest. Popmusik gebe es also erst, nachdem sie von einer Person gehört und damit zusammengesetzt wird. Ich wollte das Zentrum nicht beim Musiker, im Produktionsstudio oder an der Rezipientin festmachen, sondern an einem manifesten Ort situieren.
Was bringt dieses Weiterdenken des Zentrums?
Heinrich Deisl: Es geht nicht mehr um Band oder Künstlerin, nicht um Produktionsstätte oder Hörer, sondern …
… um einen topografischen Ort.
Heinrich Deisl: Ja, ich verorte das Zentrum, indem ich ihm eine Adresse gebe, anhand derer sich Strukturen, Verhältnisse und Prozesse in einem historischen Kontext untersuchen lassen.
Das vollständige Interview ist auf mica erschienen.
🌴🌈🐳 Friendly Reminder 🌴🌈🐳
Am 30. Juli findet der nächste Salon skug auf Rädern statt. Wir schlagen die Zelte an der Alten Donau Rehlacke auf. Mit dabei sind: Wiener Planquadrat und Alaska Al Tropical. Vorbeischauen und mit skug baden gehen!
HipHop Joshy im Interview
Seine Joints »schmecken gut« und sind »dick wie Rigatoni«, manchmal raucht er sich »den Kopf frei« oder schiebt »Panik«. Hiphop Joshy haut 16er raus, in denen mehr Sugar steckt als in jedem Deutschrap-Eistee. Außerdem hat der Mitgründer des Wiener Labels Heisse Luft gerade sein Album »Konnex« veröffentlicht. Das letzte unter altem Namen, wie er meint.
Joshy: Ich hate ich schon gern – aber im Privaten.
Wieso nicht öffentlich?
Joshy: Wer bin ich schon, um öffentlich zu sagen, was kacke ist.
Du machst dich jetzt absichtlich klein, oder?
Joshy: Nein, was hab ich davon, wenn ich jemanden niedermach?
Die Diskussion!
Joshy: Dann müsst ich mich ja erklären, das geht mir noch mehr auf die Eier!
Also lieber behind the back haten.
Joshy: Wenn jemand zu mir kommt, den nich nicht pack, sag ich schon: Sorry, ich find dich scheiße!
Wer müsste kommen, damit du das sagst?
Joshy: Kerosin95 find ich furchtbar. Ich kann nicht verstehen, warum deren Musik supportet wird, außer dass sie für eine Gruppe spricht, die sonst kein Sprachrohr hat. Trotzdem: Es ist schreckliche Musik, ich cringe mir dabei komplett einen ab.
Das vollständig zensierte Interview ist auf mica erschienen.
Was diesen Monat rauscht
Das Thermometer schwitzt, wir brutzeln für sechs Euro im Stadionbad. Weil an Hundstagen alle an Calippo Cola schlabbern und die Boombox bei 37 Grad im Schatten schlummert, deckt man sich nicht mit dem Bayern-Handtuch zu, sondern mit Tapes ein. Die funktionieren mit dem trendy Walkman von Tchibo auch mit Bluetooth neben dem Wellenbad – für einen Sommer ohne Noise Cancelling wie damals!
Henry Earnest – Dream River (s/r)
Für Tapes wie Dream River von Henry Earnest schlürft man das Eis aus dem Tonic. Ob Ambient, Hyperpop oder Trance – Earnest bleibt Earnest und gießt ein Album auf, das bei der PC-Music-Mafia Schutzgeld einbringt, weil: Das ist Mukke, die Spaß macht. Das darf nicht sein, brüllen bierernste Bewegungslegastheniker! Oder … etwa doch? Henry Earnest hat die 250-Euro-Frage längst beantwortet. Sein Tape klingt wie die Explosion einer Zuckerwattefabrik. Alle haben was davon. Sogar Zahnärzte grinsen heimlich aus der S-Klasse, wenn der Typ aus Dublin seine Stimme in den 14. Stock pitcht und an der Gitarre zupft, als hätte ein blonder Engel für ein Halleluja gesorgt.
Bloomfeld – LARP OS (Lobster Theremin)
Der Mann schaut nicht nur aus wie ein Datendieb aus der Zukunft, er legt auch so auf – zum Beispiel in der Matrix zur Hasenheide oder bei der Clubnacht im Berghain. Außerdem hat Bloomfeld gerade sein Debüt bei den Londonern von Lobster Theremin veröffentlicht – ein Tape als TÜV für verstaubte Subwoofer, Beine aus Beton und den berühmt-berüchtigten Code 9. Denn: Bloomfeld checkt, wann Shorts schlackern und Booties bouncen müssen. Dafür zockt er zwischen Grunz-Grime, Feuerwehr-Footwork und Tomahawk-Techno die ärgsten Beats, für die man sogar am CTM ein paar Leute zum Däncen brächte. Wenn der Typ jetzt noch drüberrappt, extrahiert Bloomfeld zukünftig more d4ta!
V.A. – WARCC03 (Warning)
Attenzione, aufgepasst! Die Labelcrew von Warning zieht ein Planquadrat und kontrolliert Jausenboxen. Die Pillen glitzern rosarot, der Weg zum Dancefloor führt über die Floorfreude. Für den ersten Labelsampler knackt man zusätzlich drei Kaugummiautomaten, denn: Was elf Produzent*innen zwischen Tbilisi, Kreuzberg und Belarus aus der gecrackten Abletonsoftware pressen, ist eine Visitenkarte für die Kieferorthopädie. Viikatory schmatzt auf der Regenbogenstrecke, Coco Cobra und Vicious Viper bekommen von Richter Nase drei Monate bedingt, Irene J. produziert den Sonnenaufgang vier Stunden vor Elbe 1. Alte Krimihasen wissen: Wenn man etwas genau weiß, ist es meistens zu spät. Deshalb könnte 3LNA auch die neue Variante des Coronavirus sein, bleibt aber das Klapphandy-Pseudonym einer Produzentin, die die Salamiparty von DJ Heartstring crasht.
DJ Finn – Everything Is Alright (s/r)
Die Kids sind eh alright. Für diese Erkenntnis muss man nicht zwei Dekaden an Spex-Jahrgängen auf dem Heusl bunkern, ein verstohlener Blick in den Club genügt. Alle tanzen zu Platten, die immer schon geiler waren als abgestandene Diskursfürze im sogenannten Underground. DJ Finn, ein Producer aus Manchester, hat ein Tape veröffentlicht, das elektronische Musik ist. Kickdrum, Melodie, Sample. House! Das hört sich easy an und ist es auch. Zu der Basic-Ausführung der Sommerkollektion schüttelt man sich schließlich seit dem zweiten Summer of Love auf Warehouse-Raves. Was zählt, ist der Effekt. Die Form folgt dem Herz. Und den bunten Smarties! Everything Is Alright macht uns deshalb nichts vor. Pille-Palle, neun Mal pralle!
Bobby Would – STYX (Kashual Plastik)
Bobby Would wäscht die Rock’n’Roll-Geschichte mit Ariel Pink und fährt vor Alan nach Vegas. Für die Berliner Tapeheads von Kashual Plastik schmilzt der Wiener Gürtel-Cowboy außerdem die Masterbänder unter der Wüstensonne zu einem Erwin-Wurm’schen Amalgam aus Plastik und Pengpeng. STYZ, sein drittes Album, spult trotzdem in Tapedecks zwischen Mississippi und Maulburg. Die Klampfe richtet sich gen Süden, ist broke und back mountain. Die Stimme quengelt aus einem Wurlitzer in der Black Lodge, den Opa Lynch in den 60ern am Dachboden entdeckt hat. Genau der richtige Vibe für die GHB-Gstanzln, die Bobby Would auf einer halben Stunde aus der Vergangenheit in die Gegenwart schleppt.
Schmitz & Niebuhr – The Greatest Hits (superpolar Taïps)
Schlingensief hätte seine Freude an superpolar Taïps gehabt. Das Kölner Tapelabel schreibt die Musikvergangenheit neu und füllt das Damals auf Discogs mit Geschichten, die vielleicht, unter Umständen und möglicherweise passiert sind. Eine geht so: Schmitz & Niebuhr, zwei Szenespezis aus dem Kölner Underground, eierten in den 2000ern an Glockenspielen und Drehscheibendingsbums rum. Später entdeckten sie das Feuer im Drumcomputer und beschenkten, gleich dem prometheuschen Heureka, die menschliche Zivilisation mit Musik für Zimmerbrunnen-Playlists und zarte Momente. Soll heißen: Bei Schmitz & Niebuhr sprudelt Saft aus Synthesizern, für den man sich nach der Clubnacht erst mal drei Gläser runterlässt. Für den Electrolyte-Haushalt, eh klar.
Dina Summer – Rimini (Iptamenos Discos)
Cabrio checken, Fenster runterkurbeln, Tape einlegen – das ist der Soundtrack für Dina Summer! Ja, ja! Alle Grammatikfaschos kriegen sich wieder ein, hier geht alles mit linken Dingen zu. Dina Summer ist das Badestrand-Projekt von Frittenbude Jakob Häglsperger und den beiden Düsterseelen von Local Suicide. Untertags atmet man Berliner Luft, am Abend laben die drei an sizilianischen Limoncello. Rimini, ihr Sehnsuchtsalbum, schmeckt trotzdem nach Calippo Cola und Urlaub in Italien. Dafür muss man 1986 nicht mit den Eltern unterwegs gewesen sein, sondern einfach ein Faible für Glitzer, Glanz und Gloria unter Dolce-Vita- Discokugeln haben.
laced – oko (Causal Chain)
laced ist Musikerin in Montreal. Dort hat sie die gesammelten Werke von Plaid, Aphex Twin und anderen Sonnenkindern wie Autechre oder Squarepusher eingeatmet. Aus ihrem Drumcomputer sprudeln deshalb Beats, die sich krümmen und kreiseln, als hätte Oma Baimer die falschen Pillen geschluckt. Klar, man hat sich schon für weniger am Aspirin vergriffen. Schuld sind aber nicht die Beats, sondern das Zuckerwasser, in dem sie laced auflöst. Die Melodien auf oko, ihrem ersten Tape auf dem eigenen Label Casual Chain, klingen nicht ohne Grund wie die Morning Show auf NTS: picksüß! Eingewickelt in eine Schicht aus heißer Liebe, Kitsch und Luftpolsterfolie wäscht man sich mit diesem Privat-ASMR auf zwei Tapeseiten den Schmalz aus den Ohren.
En Rie – Nowadays (Wimbleheim)
Das Rhodes wabert, der Bass schlumpft – das Flensburger Label Wimbleheim reitet mit dem neuen Release von En Rie auf der Sonntag-Morgen-bleib-ich-länger-liegen-Welle. Alles easy, alles cheesy. Flying Lotus verdrückt ein Tränchen, weil: Nowadays ist eine Liebeserklärung an die Couch und andere Vorzüge des Lebens. Die acht Tracks stocken schneller als ein Omelette auf dem Gasherd. Sie könnten locker als Beattape durchgehen. Schließlich sind schon Stücke auf Chill&Relax-Playlisten gelandet, die sich lange nicht so weit nach hinten lehnen wie En Rie. Der Producer marschiert nicht, er flaniert über Prachtstraßen des Nordens. Vielleicht hat er deswegen genügend Zeit, um nebenbei seine Labelbuddies von Wimbleheim auf Whatsapp anzuhauen. Baronski, Von Wegen, bxris bekka, Ufa Palava, Roboti Niro. Wenn Flensburg anruft, sagt niemand nein. Das Ergebnis ist kein Blockbuster, aber ein Tape, für das man nach Sonnenuntergang noch eine halbe Stunde länger den Badeteich beschallt.
Bevor wir auseinandergehen …
… ein kurzes Sorry, dass wir uns im Juni nicht gelesen haben! Zuerst krank, dann zu viel Arbeit – aktuell schlepp ich meinen Körper öfter zum Arzt als ins Stadionbad! Wer heute Abend, ab 21 Uhr auf Radio Orange 94.0, in die Sendung reinhört, weiß Bescheid. Wir hören uns!
Dir gefällt Grundrauschen? Push the button – und sorg dafür, dass der Rausch einmal im Monat in deine Inbox flattert.
Christoph Benkeser ist freier Journalist, Redakteur und Radio-Moderator. Du findest ihn auf LinkedIn oder Twitter. Sag »Hi« via E-Mail oder schreibe ihm für eine Zusammenarbeit.