Hi, mein Name ist Christoph Benkeser. Du bist bei Grundrauschen gelandet, einem Newsletter zu sogenannten Subkulturen in Österreich. Hier schreibe ich einmal im Monat auf, was in der österreichischen Musik noch passiert, außerdem gibt es aktuelle Veröffentlichungen, die gut sind oder schlecht.
Heute im Newsletter:
Tennis, aber Feuilleton [føjəˈtɔŋ]. Interviews mit Buenoventura und Harry Dean Lewis. Außerdem: die begnadetsten Musikanten des Landes.
Grundrauschen zum Tag
Da war der Sonntag wieder ein Spektakel: Carlos Alcaraz gegen Jannik Sinner. Zwei Typen, die aussehen wie Werbegesichter für Proteinpulver und Zahnspangen, stehen sich auf dem berühmtesten Sandplatz der Welt gegenüber – und prügeln sich für fünf Stunden und neunundzwanzig Minuten die Seele aus dem Tennisleiberl.
Ja. Fünf Stunden. Neunundzwanzig Minuten. Mehr als zwei Beyoncé-Konzerte mit Zugabe. Das ist: körperlicher Selbsthass mit Stil, also eigentlich doch so was wie ein Beyoncé-Konzert.
Sinner, der Italiener, blass wie ein Cappuccino ohne Schaum, beginnt das Match wie eine kalte Bleistiftskizze. Keine Farben, keine Emotionen, nur Schachbrettlinien. Er spielt flach, präzise, effizient – wie jemand, der die Ikea-Kommode nicht aufbauen, sondern in den Raum hineinmeditieren will. Seine Rückhand – reingesprungen – funktioniert wie ein Metronom: gleichmäßig, rhythmisch, unerbittlich. Zwei Sätze gewinnt er, ohne wirklich zu schwitzen. 6:4, 7:6. Es sieht aus wie ein durchorganisierter Sieg. Die Leute lehnen sich zurück, bestellen Aperol, überlegen, was später noch im Fernsehen läuft.
Aber Alcaraz, 22, Spanier, Bewegungsgenie mit Elmex-am-Abend-Lächeln und Playmobilfrisur, will sich nicht abmelden. Er steht da, grinst, und so beginnt er, Dinge zu tun, die in keinem Trainingshandbuch stehen. Er improvisiert. Er spielt Tennis wie Jazz von Tröten wie Brötzmann. Rückhand-Slice gegen den Rhythmus, Vorhand-Cross mit völlig überzogener Hüftrotation, Dropshots, bei denen sich selbst der Ball fragt, ob das jetzt ernst gemeint war. Und Alcaraz gewinnt den dritten Satz. 6:4. Nicht weil er besser ist, sondern weil er gefährlicher spielt. Mehr Risiko, mehr Wahn.
Dann der vierte Satz. Sinner hat drei Matchbälle. Drei Gelegenheiten, das hier zu beenden, sauber, effizient, mit Handshake und Konfetti. Aber der Spanier sagt einfach nein. Spielt mit der Ruhe eines Zen-Mönchs und der Unverschämtheit eines Straßenkindes. Und wehrt alles ab. Erst mit einem Stop, der physikalisch eigentlich in Den Haag angeklagt gehört. Dann mit einem Passierschlag, der so frech ist, dass man sich selbst klatschen möchte. Schließlich mit dem unbiegsamen Vertrauen eines Betrunkenen, der beim Karaoke Mariah Carey singen will – und es kann.
Jetzt also. Fünfter Satz. Finale Finale. Man denkt, jetzt stirbt gleich einer, und zwar live, the execution will be televised. Aber wieder nein, beide machen weiter. Am Ende geht es in so einen komischen Super-Tiebreak – also ein Entscheidungsminispiel mit maximaler Panik und Apokalypse-Garantie, so bitterspannend wie ein Elfmeterschießen im WM-Finale.
Sinner taumelt, nicht mal mehr metaphorisch, sondern wirklich. Die Schritte schleppender, die Schultern schwer wie Schuld. Und die die Rückhand – vorher eine Art Waffe mit Doktortitel – wirkt plötzlich wie ein verlegenes Schulreferat: zu lang, zu spät, zu wacklig. Der Treffpunkt stimmt nicht mehr, Millimeter daneben, aber auf diesem Level sind Millimeter keine Details, sondern Futur-Zwei-Satzkonstruktionen.
Alcaraz dagegen wird nicht müde, er wird größer. Wie ein Akku, der leerer wird und dabei heller leuchtet, rennt er auf einmal rum wie ein enthemmter Choreograf, spielt Schläge, bei denen man denkt: Das kann nicht sein, das darf nicht gehen. Und es geht – weil es muss. Weil er es so will. Die Hüfte arbeitet, der Arm schwingt, das Handgelenk zittert in der Zeitlupe.
6:6. Also: Super-Tiebreak. Zehn Punkte, maximale Panik. Das ist jetzt kein Tennis mehr, das ist: Sudoku unter Strom, Liebeskummer im Weltall, Himmelfahrtskommando mit Applauspflicht. Beide stehen da wie ausgequetschte Orangen – aber Alcaraz, der schaltet plötzlich um. In das beste aus Federer, Nadal und Djokovic. Plötzlich macht alles wieder Sinn, sogar die letzten fünfeinhalb Stunden. Jeder Punkt von ihm: wie ein geworfener Blitz, wie ein perfekter Tweet zur richtigen Zeit. Zehn. Zu. Zwei. Nicht mal mehr spannend, sondern: göttlich absurd.
Und dann liegt er da. Einfach flach. Auf dem Boden. Als hätte ihm jemand gesagt: So, jetzt ist Weihnachten, Silvester und dein erster Kuss – alles auf einmal. Carlos weint, verdreht die Augen, das ganze Gesicht ein GIF. Neben ihm: Sinner. Der Steht. Aufrecht. Aber leer. Komplett leer. Wie ein Word-Dokument mit Blink-Cursor und keiner Idee. Der hat gerade fünf Stunden Hochleistung abgeliefert und trotzdem verloren. Gegen einen, der sich geweigert hat zu sterben.
Ich telefoniere mit meiner Mutter. Mit meiner Schwiegermutter. Mit dem Steuerberater und dem Pizzamann. Sie alle haben es gesehen. Weil das kein Spiel war. Weil das eine Oper war, nur ohne Musik. Oder besser: mit Musik, aber nur für die, die sie hören konnten. Jeder Slice ein Streichquartett, jeder Return ein Trommelsolo, jeder Stöhnmoment ein Refrain.
Und ganz am Ende, als es vorbei ist, sitze ich da, mit Gänsehaut, überall, und ich weiß: Das war mehr als Tennis. Das war: Hoffnung und Chaos und Schönheit, die nicht schön sein will, sondern wahr.
Eigentlich der ehrlichste Grund, mit diesem sogenannten Feuilleton aufzuhören oder anzufangen.
Grundrauschen gibt’s gratis
Radio Gaga
Heute ist der dritte Dienstag im Monat, das heißt: Heute läuft leider Grundrauschen auf Radio Orange 94.0.
Harry Dean Lewis im Interview
HARRY DEAN LEWIS hört sich an wie ein Name, den man unter Hollywoodsternen ritzt. Oder auf Postern für Stadiontouren liest. Zumindest aber in Wien schonmal gehört haben sollte. Denn HARRY DEAN LEWIS ist vor allem ein sehr guter Musiker. Einer, der Soul hat. Vernünftig rappen kann. Und also etwas macht, was in Wien schon länger niemand gemacht hat. Das mag daran liegen, dass HARRY ein paar Tausend Kilometer von hier herkommt. Oder einfach nur daran, dass er schon ein bisschen was gesehen hat. Eine Aufklärung mit Christoph Benkeser.
Und da hast du beschlossen, Popstar zu werden?
Harry Dean Lewis: Im Gegenteil, ich hab mich in Berlin ein paar Jahre komplett verloren. Keine Grenzen, keine Regeln – ich hab alles aufgesogen, was ging. Allerdings war ich da schon in diesem rootsy Vibe und hab irgendwie den Bassisten von The Cinematics kennengelernt. Kennst du das Snow-Patrol-Lied, das davon handelt, wie der Gitarrist von The Cinematics ihm die Freundin ausgespannt hat? Der war das. Jedenfalls, dieser Typ hat mir einen Job in der privaten Gartenpflege vermittelt. Total surreal – wir haben Gärten in Botschafter-Residenzen gemacht.
Warte, du hast den Garten für reiche Leute gemacht?
Harry Dean Lewis: Ja, absurd, aber irgendwie auch schön. Ich hatte dadurch einen Bezug zur Natur. Und wir haben dann auch zusammen Musik gemacht. Ich wusste damals noch nicht genau, was für Musik ich machen wollte. Also haben wir einfach rumprobiert. Ich hab angefangen, eher narrativ zu schreiben – wie früherer Britpop. Ein bisschen Disco war auch drin. Und ich hab Sex, Drugs & Rock’n’Roll ziemlich glorifiziert, weil ich ehrlich gesagt einfach vor mir selbst weggelaufen bin.
Weiterlesen, weiterdenken
- Das Symposion Lindabrunn braucht Geld
- Jannik Eder denkt an Paloma
- Ania Gleich kommt nichts ins Happyland
- Bernhard Frena befragt die sogenannte Subkultur
- Misha Verollet spielt keinen Fußball
»Sehr geehrter Herr Berserker …
Vier Grazer Rocker treten seit 2020 ihren musikalischen Siegeszug durch Europa an und stehen am 17. August auf der größten Bühne ihrer Bandgeschichte: am Starting-Grid des Red Bull Ring.« (Promo-Mail von Media Spielberg)
Buenoventura im Interview
„Eigentlich ist es verrückt”, sagt BERNHARD HAMMER und meint – sein inneres Kind, einen ziegenbärtigen Anarchistenstrizzi: BUENOVENTURA. Und weil der also gaga ist, darf er sich einiges leisten. Zum Beispiel: ein gelbes Gitarrenalbum (VÖ: 23.5.2025, palazzo recordings), das nichts mit Lagerfeuertralala zu tun hat. Sondern eher mit einer guten Technoplatte. Nur, na ja, ohne Bumbum und Brimborium. Denn BERNHARD HAMMER, der – bitte dazusagen – Gitarrist der sehr guten Band ELEKTRO GUZZI, hat die Bässe rausgedreht und eine: mittige Geschichte erzählt. Wie die geht? Hat BUENOVENTURA besprochen.
Du hattest ein Haltungsproblem?
Buenoventura: Die meisten Leute, die Schulterprobleme haben, haben ein Haltungsproblem. Meine Erkenntnis daraus ist: Ich spiele nur noch stehend – auch zu Hause. Und im Studio steht ein höhenverstellbarer Schreibtisch.
Was hat das Oben-Spielen verändert?
Buenoventura: Ich bin näher am Sound. Das kommt mir prinzipiell entgegen, denn was ich am elektronischen Spielen immer cool fand, war: Du kannst viel mehr zuhören, weil du nicht mit der technischen Umsetzung der Bewegungen bist. Es läuft also zum Beispiel der Sequencer einer Drum Machine durch – und ich kann mich auf das Drehen eines einzelnen Knopfes konzentrieren, um gezielt am Sound zu tüfteln.
Und was hat das mit dem höhenverstellbaren Schreibtisch zu tun?
Buenoventura: Veränderung ist immer gut. Alles andere führt früher oder später zu Verschleiß und dadurch – wieder – zu einem Haltungsproblem. Trotzdem habe ich die Platte nicht aus diesem Gedanken gemacht. Ich hatte einfach eine Deadline. Und: In meinem künstlerischen Schaffen sind greifbare Ziele wichtig.
Was diesen Monat rauscht
Dazed Pilots – Here's To Me EP
Die beste Stadiontour des Sommers, im Kopf oder in der Garage, es ist ja komplett wurscht, solange es ordentlich tscheppat, wie immer, also meistens.
kraft ebbingg – tearfire@neun.null
So muss das ungefähr klingen, wenn man bei der Elak maturiert.
Violet Bloom – Demo 2025
Das ist nicht nur ein wütender Hardcorepunksong, das ist auch ganz viel Solidarität, äh.
Lucy Dreams – Stars
Dass das alles noch keine intergalaktischen Sphären erreicht hat, ist insgesamt nur dem abgrundtiefen und in seiner sturen Ignoranz vollends abzulehnenden Geschmack der Gesellschaft geschuldet.
Rio Obskur – Hommage (Epileptic Media)
Auch schon lange nichts mehr gehört, von der Marion, naja.
Animal Lust – Split with Puruloid
Man muss drauf stehen, aber wenn man drauf steht, steht man bestimmt drauf.
Frekwenzy Kryminal – Toxik Shortwaev Influx Vol. 99 (Kreuzschmerzen)
Ja, gut, aber habt ihr was für die Ohren.
Discopoidl – Der Discopoidl
Das ist doch der Hans Funk, der ist ja eine ähnliche Discofunklegende.
Dcascallana – A complex mind
Ich komm mir vor, ich steh im Hardwax, es ist 2011 und die Welt ist noch so einigermaßen beinander.
RinniR – I will share my deathbed with your eyes filled with happiness
Österreichische Celer, ich sag es nur.
Molly Mono – Until the Sun Goes Down
Bei mindestens einem von euch finde ich eine FM4-Türmatte vor der Tür, oder.
Sepulchral Lamentations – Manifestum Tertii Antichristii
Die Snare klingt wie eins, zwei, drei Affenalarm, aber sonst ist das schon ein schöner Schützengraben, den die sich da ausgegraben haben.
Jakob K. – rom
Moment, ich nehm nur kurz diesen interessanten Klang mit meinem Richtmikrofon auf, es dauert gar nicht lange.
OOC – Chronicles Of The Ashen Souls
»Wiener Künstlerin interpretiert Hymne für österreichischen Formel-1-Grand-Prix«
Rigby On The Run – Rug Rally EP (Studio Bahöö)
Da schau, in Badgastein hat man schon von Overmono gehört.
Demuja – Restless EP
Ich mein, wir sind von Deep House gesellschaftlich ungefähr so weit entfernt wie Rapid von der Champions League, aber der Mann tut wenigstens was dagegen.
Dino Spiluttini – Eros
Free Britney, äh häh häh.
ARA – Mutterseelenallein und aus eigener Kraft (Into Endless Chaos)
Schön, ich wiederhole. Sehr schön!
Bevor wir auseinandergehen …
Sie haben schon viele Plakate gemacht, aber diesmal, da haben sie eines gemacht, das ist so wunderbar und großartig, ich muss es hierhinstellen und bewerben und sagen, KAUFT BEI NguyenGobber
Ich interessiere mich ja null für Tennis, aber das war ja mal ganz wunderbar beschrieben.