Musik ist auch nur Malerei für die Ohren
Hi, mein Name ist Christoph Benkeser. Du bist bei Grundrauschen gelandet, einem Newsletter zu sogenannten Subkulturen in Österreich. Hier bespreche ich einmal im Monat, was in der österreichischen Musik noch passiert, außerdem gibt es aktuelle Veröffentlichungen, die gut sind oder schlecht.
Heute im Newsletter: Wie man überall mitreden kann. Ein Interview mit der Popo-Band Maraskino. Ein Nachruf auf Werner Korn, den echoraum-Gründer. Links noch und nöcher. Und die Musik im Juli.
Grundrauschen zum Tag
Jane Birkin gegoogelt. Keine Ahnung, wer das ist. Aber jetzt tot, sagen fast alle und meine Handyapp auch, die zeigt mir alle neuen Informationen an, das ist schon wichtig, zum Beispiel ein Artikel von blick.ch: »Meiden Sie die Balearen, Ägypten und Griechenland«. Wieso, soll ich mich wohl fragen, aber ich werde es nie erfahren, weil ich doch längst weiterscrolle: »So reist es sich auf Europas neuen Nachtzug-Strecken«, weiß nämlich n-tv.de, dabei bin ich ja selbst grad erst im Nachtzug nach Düsseldorf gefahren und das war ganz ok, sogar Düsseldorf, aber ich muss da jetzt auch keinen Artikel schreiben darüber. »Österreich ist das unfreundlichste Land der Welt und hier sind 6 Beweise dafür«, schreibt allerdings buzzfeed.at und ich sag super, den Klick geb ich euch gern, aber sorry, da lockt schon das nächste Angebot: »Verreise mit FlixBus mit einem 20% Aktionscode« und den hätt ich tatsächlich gebrauchen können, weil ich ja schon bald wieder nach Berlin fahre mit dem FlixBus, ich lerne wohl nie aus.
Na ja, alles schon vergessen mit den »besten Lokalen Kroatiens und Sloweniens«, die derStandard.at sicherlich nach einem strengen Auswahlverfahren zusammengestellt, um nicht zu sagen: in einem einer Qualitätszeitung angemessenen Kurationsverfahren kuratierend kuratiert hat. Zum Glück verwenden sie als Bild für den Text den Blick auf ein Meer, sonst checkt ja echt niemand, um was es hier eigentlich geht, nämlich um mehr, das wissen jetzt auch alle Reichen, denn: »Villen-Wohnungen am Döblinger Donauufer fertiggestellt«, frohlockt MeinBezirk.at und wer sich wie ich in letzter Zeit mal an diesen Dingern vorbeitrauen durfte, darf sich ob deren architektonischem Reichtum sicher sein: Geschmack kann man sich kaufen, hier aber eher nicht. Denn hier erfahren wir von kurier.at, »was von der Energiekrise geblieben ist« – sofern man sich für den Scheiß bei 42 Grad im Schatten interessiert, das ist dann tatsächlich eine Frage der Ressourcen.
Und die kann ich mir bei den ganzen tollen Einmalzahlungen natürlich leisten, weil jetzt gibt es schon wieder gratis Geld, ich weiß gar nicht mehr wohin damit: »Wiener Wohnbonus kann ab 17. Juli 2023 beantragt werden«, informiert vienna.at und ich hoffe, ihr sprüht auch schon vor Euphorie wie – und jetzt wird’s vernebelt! – eine dieser mit 54 Prozent »aller Stimmen« zum Sieger in der Namensgebung für die allerorts herumsprühenden Sprühduschen gekührten »Sommerspritzer«. Puh, vielleicht geht sich nach der ganzen Anstrengung noch ein schöner Urlaub aus, am besten stellt man die Abwesenheitsnotiz in den E-Mails gar nicht mehr aus, Hasthag cool. Cooler war übrigens nur die kleinezeitung.at, die hat noch einen lustigen Red-Hot-Chili-Peppers-Witz (»Konzertkritik: eher mittelscharf«) gemacht und wer jetzt mit diepresse.at noch miträtselt, ob »wir« die »Rückkehr des Softeises wirklich brauchen«, ist schonmal einigermaßen informiert für den Tag und kann überall mitreden.
Maraskino im Interview
Mit Maraskino trifft man sich standesgemäß zum Sektfrühstück, weil: Der Popsch-Dreier aus Wien weiß, wie Leben lustig geht. Nancy Nuclear, Melody Maraskino und Roy Prince Happy – die Alter Egos der selbstbezeichneten Porn-Pop-Performance – sitzen sonnenbrillierend am Meidlinger Markt. Die Hinterteile bleiben ausnahmsweise auf Asphalt, dafür lassen die restlichen Outfits sogar Persil-Werbungen wie Schwarz-Weiß-Streifen aussehen.
Roy Prince Happy: Ist das nicht das Coole am Nachtleben, dass dort die Gesellschaft offener wird? Ich mein nicht die klassischen Konzerte mit ihren Locations, sondern die Clubs. Das macht einen großen Unterschied. Ich denk an das Konzert beim Kultursommer auf der Praterwiese. Da war eine Ballermann-Hochzeitstruppe in Lederhosen. Denen ist die Lade runtergefallen, als sie uns gesehen haben.
Melody Maraskino: Am Ende waren sie unsere Fans. Es hat aber gedauert. Das merkt man bei den meisten Zaungästen. Einer hat seine Frau angerufen, weil er uns mit String-Tangas auf der Bühne gesehen hat.
Nancy Nuclear: Das sind spannende Momente!
Melody Maraskino: Auch für uns. Ein Publikum, das uns zuerst nicht einordnen kann, ist spannend. Egal ob man uns gut findet oder nicht, es haut einem die komplette Meinung zusammen.
Zuletzt habt ihr auch im Berliner KitKat und Sisyphos gespielt. Eine ganz andere Erfahrung, nehm ich an.
Melody Maraskino: Im KitKat waren wir alle weiß gekleidet. Das Publikum trug fast nur schwarz. Wir haben uns schon gewundert, dann hat man uns gesagt: Dort gibt es ein Weiß-Verbot, das ist Door-Policy. Also haben wir sogar in diesem Club die Uniformierung …
Umgestülpt.
Melody Maraskino: Genau! Alle sind sie konservativ, halt auf ihre Art.
Roy Prince Happy: Die Leute fanden unsere weißen Sachen trotzdem super. Gerade weil sie irritiert haben. Und das ist unser Ziel. Die Kombination aus Texten, Musik und unserem Aussehen soll zur Irritation führen.
Melody Maraskino: Deshalb müssen wir bei der Style-Polizei auf der Watchlist stehen, um die äußeren Enden der Horizonte zu verschieben. Weil: Wenn uns jemand in den Outfits auf der Bühne sieht, wird es normaler – zum Beispiel auch auf der Straße.
Das vollständige Interview ist bei mica erschienen.
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Werner Korn
Er sei ein »Brückenbauer für die Kunst des Experiments« gewesen, ein »Vorreiter« und »uneitler Ermöglicher«, den Falter-Opi Armin Thurnher »Cornetto« nannte und der als »vermutlich bester Zuhörer der Stadt« ein Ohr für das »wenig Gehörte« hatte, wie es Kulturrätin Veronica Kaup-Hasler ausdrückte. Werner Korn, der verstorbene Mitgründer des echoraum, mag all das gewesen sein. Als Veranstalter für »das Abseitige«, wie es manchereins bezeichnete war er für die Wiener Experimentierenden aber vor allem: wichtig.
1988 gründete Werner Korn mit Joseph Hartmann den echoraum, den sie damals noch Narrenkastl nannten und der ein Ort fürs Theater sein sollte. Dort, in der Sechshauserstraße 66 im 15. Bezirk, wurde dieser Raum schon bald zum Treffpunkt für die Ausprobierenden und Versuchenden, die Neugierigen und Narrischen. 35 Jahre später ist der echoraum für viele von ihnen längst zu einer Institution geworden. Nach einem so konsequent wie konstruktiv geplanten „Generationenwechsel”, der wie alles, was Werner Korn angriff, einer Struktur folgte, leiten den Raum seit 2022 Alisa Beck und Sara Zlanabitnig.
Zuletzt erhielt Werner Korn das Goldene Verdienstzeichen der Stadt Wien. Es war die späte Auszeichnung für das »ausufernde und stets kollaborative Schaffen«, das, so hieß es in der damaligen Festrede, »auf permanenter Neugier« fußte. Diese Neugier bleibt das Erbe von Werner Korn, der Anfang Juli 71-jährig verstarb. Aus Wertschätzung für seine Arbeit haben Menschen aus seinem Umfeld und darüber hinaus ihre Erinnerungen geteilt. Erinnerungen, die aufzeigen, welch Anerkennung und Respekt Werner Korn, dem »Brückenbauer« und »Ermöglicher«, zuteilwurde.
Erinnerungen an Werner Korn habe ich für mica gesammelt.
Was diesen Monat rauscht
yxou – shells/wavering (s/r)
Jeden Monat höre ich mindestens eine sogenannte Post-Metal-Band, die ich noch nie gehört habe, weil ich mich eigentlich gar nicht auskenne mit Post-Metal, ich weiß ja nicht mal was das ist, aber dass es egal ist, weiß ich schon und dann hör ich also für genau zwei Songs zu und nicht immer ist es so geil wie bei yxou.
Static Rotation of Moods – دوران مزاج جامد (Goldgelb Records)
Goldgelb, des Fortunisten liebste Farb und sein Kassettenlabel obendrauf, spult diese schöne Sommernachtsvermittlung ab. Darauf: Musik von dem nahen Osten und ganz geil.
Fall Into Dry Lungs – Poison Eaters (s/r)
Ja, wer hier den Klescher hat, der Hörer oder der Gehörte, das muss noch final dekliniert, zumindest aber ausgemacht werden.
3170/1160 – ARA/ENKYRI SPlIT (Urban Lurk)
Michael Schneeberger singt bei den sehr erfolgreichen Modecenter und bei den umso besseren Loather ja auch manchmal. Mit Ara züchtet er keine Papageien, sondern das nächste Projekt, eh schon länger, aber halt bissl low-key und alles. Jetzt im Sommer lässt er sogar die Gitarre weg und das Geschrei und dann ist das fast schon zu nett, aber Achtung Seite 2!
Kanoi & KRPL – Geierspeis (s/r)
Den Kanoi, der Wiener mit dem Psychedelic-Poscher, war mir immer ein sympathischer Zeitgenosse, weil er seine Musik so lang gespielt hat, dass selbst Stoner ihren Wüstensand gefressen haben. Das macht er hier schon wieder. Und das passt dann wohl.
doktor wadu – ich muss nicht gehen, aber bier mag ich, glaub ich, keins mehr trinken (s/r)
Egal wie scheiße jemand auf Wienerisch singt, es ist immer noch besser als der Nino.
RIO OBSKUR – hot couture sucks (but this ep is your exit) (s/r)
Ja, super, kalte Brise, kühler Hauch, bei der Hitze nicht verkehrt und sonst eigentlich auch, weißt eh, das ist das neue Projekt von der Dings, die ist schon super eigentlich, also diesmal wird das immer besser und jetzt auch noch mit den Beats, einfach ja zum Leben!
importers exporters of general machandise – zweieinhalb bücher (phncrs)
Die Marie Vermont und ihr Strandkollege verkaufen jetzt Handtücher oder Küchenhangerl, ich weiß es auch nicht, aber es sieht sehr schön aus. Vielleicht ist sogar die Musik gut, wahrscheinlich schon. Hast du noch ein CD-Dings eigentlich?
Not Really Either – not really either EP (s/r)
Ich steh irgendwo auf dem Festival im Gatsch, es ist 2011 und Enter Shikari spielen ein Lied.
rossvanboss – disco disco
Ich sprech kein italiano, aber einfach ein paar Wörter aneinanderreihen, das geht schon: Dolce Vita, Tiramisu, Lamborghini und Ciao Bella FM4!
Mme Psychosis – »Lagonda« (Ediciones Populares)
Du hast einen Synthesizer, du kannst ihn spielen, du bist besser als alle anderen und dann merkt man das auch noch.
Top Joy – Rumble In The Jumble (s/r)
Moment mal, war das nicht der Soundtrack für Donkey Kong auf der Nintendo 64?
Kobermann – Ferro Island 34 (s/r)
Wenn der Kobermann was rüberschickt, kann man eigentlich immer reinhören, man muss sich nur ein bisschen Zeit nehmen, weil er gerne Musik produziert, deshalb sind das meistens viele Stücke auf einmal und dann ist schon wieder der Nachmittag rum und man ist nur rumgesessen, was aber eh das Beste ist.
bbbs – The Final Cruise Of The Marvelous MS Discomfort (s/r)
Die Speiberei von Triangle of Sadness, aber als bibelstündliches Jamba-Sparabo für die vorletzte Generation.
Bitschu Batschu – Wir haben Spass und ihr nicht (s/r)
Alle sagen, in Wien kommt immer alles ein paar Jahre später als, keine Ahnung, in Berlin und das ist schon sehr lustig als Satz, weil ich mein, wer hatte bitteschön so tolle Bands wie Wanda? Berlin sicher nicht. Aber bei so Serotoninsofortausschütter-Techno sind wir in Wien halt echt ein bisschen spät dran, sorry.
Gashtla – Dive Mode (Honigdachs)
»Gasthlas Konzeptalbum ist ein musikalischer Tauchgang zum tiefsten Punkt des Meeres und zurück«, lese ich im Beipackzettel. Und bevor ich es mir anders überlege, sag ich mal, dass das einfach eine gute Idee ist für so eine Hip-Hop-Platte.
Mose – Puls (Galileo MC)
Fünf Herrschaften aus der, man muss es schon sagen, schönsten Stadt Vorarlbergs machen die Bohren-und-der-Club-of-Gore-igste Musik im wilden Westen. Und das jetzt auch schon zum zweiten Mal. Wer im Ländle vorbeikommt, schaut in den Musikladen, segt heil zum Tscharle und niammt a Schieba mit!
Ongles – »Solids« (s/r)
Ist das Kunst, kann das bleiben, so viele Fragen, und immer dieses Rauschen, als stünde man schon wieder in einer Installation!
Rigby On The Run – Mushrooms EP (s/r)
Ich kann mich grad nicht erinnern, irgendwann hab ich hier schonmal über jemanden aus Badgastein geschrieben, das war so holprige Dancemukke mit diesen quitschigen Stimmen wie bei den Overmono-Brothers aus dem UK und das klang ja schon sehr vielversprechend, glaub ich. Das ist jetzt auch was, vielleicht sogar ähnlich vermutlich.
Bevor wir auseinandergehen …
Astroppenmissionbarbie anyone?
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