März mich mal
Hi, mein Name ist Christoph Benkeser. Du bist bei Grundrauschen gelandet, einem Newsletter zur Radiosendung auf Orange 94.0. Hier bespreche ich einmal im Monat neues aus der österreichischen Musikszene, verlinke zu aktuelle Veröffentlichungen und lass es rauschen.
Heute im Newsletter: Gedanken zur Club-Tschick. Ein Porträt über DJ und Neubau-Gründer Heap. Im Gespräch mit Xing. Außerdem: die Reading-List für März + neue Releases aus dem Ö-Underground im Überblick. Aber davor …
Grundrauschen zum Tag
»Das Rauchverbot hat was mit der Clubmusik gemacht«, erzählt mir Katja Dürrer letztens im Café Frame. Die langjährige Wiener DJ und Veranstalterin meint es ernst – und ich finde ihren Ansatz interessant. »Die Rauchengeh-Dynamik ist fatal für jeden Dancefloor«, sagt sie. »Niemand geht allein raus, die Leute gehen zusammen. Wer weiß, wann sie wiederkommen?«
Seit 1. November 2019 ist Österreichs Gastro »rauchfrei«. Dazu zählen auch Clubs. Wer seitdem tschicken will, muss vor die Tür oder auf die »Freiflächen«, wie es im Gesetzesentwurf heißt. Dass man heute nach einem Bier im Beisl nicht mehr wie der Marlboro Man duftet: Wir haben es der SPÖ und Pamela Rendi-Wagner zu verdanken.
Heute raucht in Österreich jede fünfte Person über 15 Jahren. Im grünen Gesundheitsministerium diskutiert man »regierungsintern« sogar über eine Ausweitung des Verbots »im Freien«. Die Schanigärten seien zwar tabu, trotzdem wollen sich manche bereits an japanischen Smoking-Areas orientieren. Die SPÖ ist dafür, die FPÖ dagegen. Während man viel heiße Luft produziert, qualmen in Clubs vor allem die Subwoofer.
»Ich hab mir die Frage gestellt, warum die Musik im Club immer härter und schneller geworden ist,« sagt. Katja Dürrer. Ihre Erkenntnis sei so banal wie plausibel: »Wenn früher ein chilliger Tune gespielt wurde, hast du dir auf dem Dancefloor eine Tschick angeraucht. Inzwischen denkt man sich: Eh cool, aber sorry, ich geh bis zum nächsten Rave-Tune vor die Tür.«
Dadurch wisse jeder DJ: »Wenn man mit dem Tempo runtergeht, muss man schnell wieder hoch, sonst sind alle draußen«, so Dürrer. Die Verbindung zwischen Club-Tschick und Dancefloor-Bänger mag sich ein wenig einfach klingen. Trotzdem: So habe ich noch nie darüber nachgedacht. Schließlich würden nicht nur die DJs gegen die Dynamik steuern, sondern auch die Produzierenden, sagt Dürrer. »Alle produzieren schnellere und härtere Musik, weil ihre Tracks sonst nicht auf den großen Raves gespielt wird«, so die DJ.
Ob das Rauchverbot für die Härter-Schneller-Drüberei am Dancefloor verantwortlich ist? Vielleicht. Jedenfalls nicht nur. Wer das vollständige Interview mit Katja Dürrer lesen will, kann das bei mica tun.
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Heap im Porträt
Florian Stöffelbauer nennt sich Heap und lebt in Wien. Er führt einen YouTube-Schatzkasten und zwei Labels, außerdem einen Verein zur Vermittlung von Kultur. 2022 erschien auf Isla das Debütalbum von Heap – eine Platte, für die sich der Gründerzeit-Groove im Dekmantel verkleidet. Gigs führten ihn zuletzt nach Bristol, Amsterdam und Kaunas. Läuft also, dürfte man meinen. Die lauten Töne überlässt der Neubau-Labelgründer trotzdem der Clubanlage. »Ich will niemanden etwas aufzwingen«, sagt er zu HHV. »Selbstbeweihräucherung beeinflusst die Meinungsbildung einer Community.« Den Fokus richte Heap deshalb auf die Musik, nicht auf einen »online vorherrschenden Personenkult.
Auf Neubau – das Label hat Heap 2015 mit einem Freund gegründet und leitet es inzwischen mit Florian Bocksrucker – erschienen bisher knapp 20 Platten. Es sind Tracks, die »zwischen Synthwave, Dub, Kosmische, Techno und Elektro« pendeln, wie Journalistin Shilla Strelka schreibt. Neben Veröffentlichungen von eigenen EPs geht es auf dem Label um die Vernetzung mit anderen Artists. Im letzten Jahr erschienen Platten von YNV und Grischerr. »Die Releases passieren einfach«, so Heap. »Ohne Zwänge, ohne Deadlines, ohne Marketing.« Diese Ungezwungenheit interessiere ihn. Sie lasse der Musik Zeit zum Atmen. »Ohne Seele kommt deshalb kein Release auf Neubau raus.«
Heap, der ein »fanatischen Plattensammler« sei, steht hinter einem weiteren Label: Wiener Brut. Darauf erscheint Musik aus einer Zeit, in der Marlboro und Maggi noch als Duo-Kombi auf den Wirtshaustischen standen. 2022 erschien mit »Die Minimalisten« ein ehemaliges Schulprojekt – Euro House aus den Achtzigern, den Heap als »österreichische Mashisa« bezeichnet hat. Mit dem Sublabel gehe es ihm um die Geschichten hinter vergessenen Projekten. Sie neu zu erzählen, sei der Antrieb für Wiener Brut. Außerdem lässt sich damit sein Digger-Interesse bündeln. Das zeigt er nicht nur im Mix, den er für uns aufgenommen hat, sondern auch auf YouTube: Dort ist Heap für archäologische Ausgrabungen wie diese verantwortlich.
Das Porträt und ein 60-minütiger Mix ist auf HHV erschienen.
Weiterlesen, weiterdenken
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Das Fluc wird zum Flucc
Xing im Interview
Wir sehen über Wien, auf dem Dach eines Möbelhauses. Während der Wind über das Geländer schnalzt, setzt sich Xing auf eine Bank aus Beton. »Jetzt Real Talk, oder?«, sagt die Sängerin und lächelt. Die gebürtige Linzerin hat eine neue EP aufgenommen. Mit »Peace of Mind« schleift sie Soul über den Dancefloor – sechs Songs, die locker in internationale Pop-Playlists grätschen könnten.
Xing: Ich finde Extreme schwierig. Wenn ich davon überzeugt bin, dass die einzige richtige Meinung meine eigene ist, führt das nur zu fingerpointing und Hass! Deshalb kann cancel culture problematisch sein. Die Verurteilung führt dazu, dass man nicht mehr verstehen muss. Ich versuch deshalb immer offenzubleiben und zu verstehen, warum Leute so denken, wie sie denken – if I agree with it ist eine andere Frage.
Das führt mich zu deinen Texten: Du suchst darin nicht nach Antworten, willst aber verstehen.
Weil es keine richtige Antwort gibt, ja. Gleichzeitig kann das Verständnis nur einem selbst kommen. Daran scheitern viele Menschen. Sie wollen nicht nur nicht verstehen, sie …
Lassen sich nicht darauf ein, verstehen zu können, weil ihre Meinung bereits feststeht?
Ja, man sucht die Probleme in einem Außen oder der eigenen Vergangenheit. Wenn ich Dinge gemacht hab, auf die ich nicht stolz war, hab ich das auf meine Kindheit geschoben – weil meine Eltern nie Zeit hatten, mir nicht in der Schule halfen, mich oft allein ließen. Dadurch streift man die Verantwortung ab. Das hält einen von der eigenen Entwicklung ab, weil …
Man immer eine Entschuldigung parat hat?
Genau. Wenn was beschissen läuft, kann man immer sagen, dass man halt so ist, weil etwas war, das man nicht mehr verändern kann. Das führt dazu, dass man nie weiter denken muss, sondern alles auf die Vergangenheit schiebt. Dabei führt nur die Einsicht, daran etwas zu verändern, zu einer Veränderung.
Grundrauschen aus der Vergangenheit
»Satanische Kindesmisshandlung ist ein brisantes Thema. Aber auch eins, bei dem man schnell auf der moralisch sicheren Seite steht.«
Sebastian Reier in skug Magazin #75 (2008)
Friendly Reminder
Heute kommt die Neue Wiener Radikale ins Studio am Gaußplatz. Die Drug Searching Dogs schnüffeln bei Grundrauschen rum. Ab 21 Uhr auf Orange 94.0!
Was diesen Monat rauscht
Neulaa – »Neulaa« (s/r)
Klingt so, als hätten die Bobo-Kids von Black Country, New Road ihre Finger an Ein-Euro-Platten von Alanis Morissette und Oasis vergriffelt.
Demented – »Mass Hysteria« (P Lab Recordings)
Mit der Wiener D’n’B-Szene hab ich’s mir schon verscherzt, die Mozartkugeln wissen noch nichts von ihrem Glück! Via P Lab Recordings, der Salzburger Institution für Duracell-Beats mit Betonkuss-Quality, heulen die Sirenen aber schon zur Snare.
X!XU – » X!XU« (s/r)
Von Lou Asril bis Naked Cameo leihen sie der halben FM4-Zentrale ihre Instrumente. Im Dreier unter sich packen’s dann Besen und Jazz-Licks aus, bis Jeff Parker sich an den Bitches verbraut.
Lou Asril – »RetroMix21« (Matches)
The Weeknd schaufelt sich die Leberknödelsuppe in den Wanst, Doja Cat tunkt das Schnitzel ins Ketchup. Ähh …
Graureiher – »In Nothingness« (s/r)
In Vorarlberg schneidet man sich die Stimmbänder aus dem Hals und hängt sie zum Trocknen in den Keller. Im Dialekt nennt man das Brauchtum gerne »Graureiher«.
Sturmherta – »VRA« (s/r)
Obacht Triggerdings: Mit dem Sound könnte man sich zur zweimonatigen Residency in Guantanamo bewerben. Dort fände man neben einem fachspezifischen Publikum auch die richtige Spannung vor.
Nasihat & Flip – »Ka Pessimist« (s/r)
Snares kicken, Köpfe nicken – Nasihat aus Salzburg spreadet seine 16er mit Flip von Texta. Fix kein »Glücksspü«.
Kahr – »Kahr« (sr)
In der Bio steht: »Steirisches ein Mann Sludge Post Metal Duo.« Ich rühr schon mal das Kernöl an!
Sainkho Namtchylak – »Lost Rivers II« (s/r)
Sie kommt aus dem sibirischen Hinterland, entschreit sich seit über drei Jahrzehnten von ihrer Vergangenheit und überspringt mit sieben Oktaven zwischen Fuckhead-Arie, Schule für Dichtereien und der Eau-de-Morgentoilette alle künstlerischen Parameter.
RSMA & Marie Vermont – »Micro Mata« (s/r)
Einordnen unter: Knisterbare Heiterkeit als Opernstoff zwischen ferner Zukunft und letzter Zigarette.
Pharma – »Riddim Tunes (2015-2018)« (s/r)
Moritz Neuherz weiß, wie sich Subwoofer zu Speibergeräten umfunktionieren lassen: mit Dubstep, der so deep drückt, dass sich der Enddarm freiwillig löst.
Nightfall in Eden – »Sinister Universe« (s/r)
Unnützes Wissen: Mahler ließ sich die Haare bis zum Hintern wachsen, um in der Dunkelheit headbangend zu den Kindertotenliedern zu eskalieren.
The Dubnihilist – »Wiener Linien« (Dystopian Dub Discotheque)
Von der Kirchengasse bis zum Spittelauerplatz – Basic Channel fahren zum Sonnenaufgang mit der U6.
Fennesz & Ozmotic – »Senzatempo« (Touch)
Die erste gute Fennesz seit seiner letzten auf Editions Mego – mit den Glitch-Guys aus Italien.
Lurch – »Demo« (s/r)
Ozzy verschluckt sich an der Fledermaus, Alice frisst LSD. Und Jimmy macht auf Hindenburg.
phal:angst – »Whiteout« (s/r)
Sie sind the last of us, die noch wissen, wie die Welt vor der Smombie-Apokalypse ausgesehen hat. Inzwischen hat sich der Virus so stark ausgebreitet, dass jedes Swipen ins Whiteout führt. »What A Time To Be Alive!«
citizenthief – »The sting of the bee lingers, and the bird vocalizes a new tone« (s/r)
Aleyda Rocha kommt aus Mexiko, lebt in Wien und dürfte sich in ihrer Freizeit mit Biene Maja auseinandersetzen. Anders lässt sich diese Valium-induzierte Imkerei nicht erklären.
Kreuzschmerzen – »Verhalten / Zukunft« (s/r)
Zuerst Kraftklub, dann Kreuzschmerzen.
Bevor wir auseinandergehen …
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Christoph Benkeser ist freier Journalist, Redakteur und Radio-Moderator. Sag »Hi« via E-Mail schreibe ihm für eine Zusammenarbeit.