Mailand oder Mailorder
Hi, mein Name ist Christoph Benkeser. Du bist bei Grundrauschen gelandet, einem Newsletter zur Radiosendung auf Orange 94.0. Hier bespreche ich einmal im Monat neues aus der österreichischen Musikszene, verlinke zu aktuelle Veröffentlichungen und lass es rauschen.
Heute im Newsletter: Neues aus dem Salon, Interviews mit BLUEBUNNY & twinflamegirl und Iva Olo. Außerdem: die Reading-List für Mai + neue Veröffentlichungen aus dem Ö-Underground im Überblick. Aber davor …
Grundrauschen zum Tag
Manche mögen es wissen, anderen darf es egal sein. Die Journalistin und Moderatorin Ania Gleich und ich kümmern uns seit einem Jahr um das Programm des Salon skug. Wir übernahmen die Aufgabe von Mio Obernosterer, die jahrelang die besten Bands zum Salon, der monatlich stattfindenden Veranstaltungsreihe des skug Magazins, gebracht hatte.
Ania und ich versuchen seither weiterzuführen, was funktioniert: neue Künstler:innen aus Wien und Umgebung zu buchen, die beim Salon das erste Mal vor Publikum auftreten können. Manche Acts landen bei größeren Veranstalter:innen, gehen auf Tour, nehmen ihre erste Platte auf. Andere wachsen in die »skug-Familie«, werden Teil unseres Kosmos, weil sie mehr als ihre Musik mit uns teilen.
Wir machen Veranstaltungen, wir kuratieren sie nicht. Deshalb sind wir nicht so cool wie Leute aus der Richter-Klasse. Aber das wollten wir ohnehin nie sein. Wir sind cool, weil wir lieb sind und meistens dazu stehen. Es gibt genügend »skug-Acts« – Künstler:innen, von denen wir wissen, dass sie gut zu uns passen werden, weil sie denselben Idealismus in sich tragen, der uns Monat für Monat veranstalten lässt. Es geht ihnen um die Musik. Um das Teilen von Momenten. Und um mehr als die große Kohle.
skug bekommt Förderungen der Wiener MA7 für die Veranstaltungsreihe. Der Großteil landet bei den Künstler:innen. Zwischen 200 und 300 Euro pro Act können wir zahlen. Der Rest des Budgets wandert zur Technik. Außerdem sammeln wir bei freiem Eintritt Spenden, die zurück zu den Künstler:innen oder zur Ausstattung des Salons während der Sommermonate fließen.
Schließlich fährt der Salon skug zwischen Juni und September auf die Straße. Zwei Lastenräder, konstruiert von unserem Chef-Ingenieur David Baum, verwandeln sich nicht nur in Transformers-Manier zur Bühne, sie tragen auch das gesamte Equipment– von der PA bis zum Mikroständer – an öffentliche Orte in Wien. Wenn kommenden Donnerstag der letzte Indoor-Salon der ersten Jahreshälfte veranstaltet ist, treten wir wieder in die Pedale. Drei Mal wollen wir Open-Air aufdrehen – mit allen Problemen und Freuden und existentiellen Krisen um halb zwei Uhr in der Nacht, die das Veranstalten unter freiem Himmel in Wien mit sich bringt.
Bevor wir im Juni ein Straßenfest in der Leopoldstadt veranstalten, kehren wir nochmal in unsere gegenwärtige Heimstätte, das rhiz, zurück. Ania Gleich und Chefredakteur Fran Jödicke moderieren am 18. Mai einen Talk über Künstliche Intelligenz mit den Künstlerinnen Anna Pelz, Scharmien Zandi und Stephanie Meisl.
Wer redet, wird hörig. Deshalb gibt es im Anschluss an die Diskussion über KI zwei Konzerte – mit Maschinen aus Menschenhand. Ins rhiz kommt neben der Sound-Schürferin und Elektronik-Experimentiererin Steffi Baron-Neuhuber auch OBSOLETE. Das Duo spielt bei unserem Salon sein Debüt. Wer dahinter steckt, finden wir auf der Bühne raus. Kleiner Spoiler: Beim letzten Volksstimmefest sorgte einer der beiden für Krawall in der Kumbaya-Kurve.
Der Salon skug am 18. Mai 2023 findet ab 19:30 im Wiener rhiz statt. Der Eintritt ist wie immer frei, um eine Spende wird gebeten. Alle Informationen findet ihr auf der Homepage von skug.
Friendly Reminder
Heute gibt’s wieder Grundrauschen. Mit dabei, wieder so ein Debüt: RIO OBSKUR. Ab 21 Uhr auf Radio Orange 94.0.
BLUEBUNNY & twinflamegirl im Interview
BLUEBUNNY & twinflamegirl produzieren gute Laune. Manche nennen das Hyperpop, andere einen Seelenspaziergang oder eine Autotune-Kur. Wer sich deshalb bereits die Schläfen massiert: Nicht wegklicken! Zuhören. Was Eliška Jahelková und Daniel Stolzlederer, zwei Kunststudierende in Wien, zu erzählen haben, führt uns nicht nur näher an den Crack unserer Online-Engel, sondern auch zu uns selbst.
Wie viele Dosen Energie steckt in eurem Album?
BLUEBUNNY: 77.
77 Dosen, die euch Flügel verleihen.
BLUEBUNNY: Ascension, im Sinne von „out-of-body-ascension”, ist für uns ein wichtiges Thema. Deshalb kommt das Fliegen in unserer Musik oft vor, gepaart mit einer spirituellen Komponente. Einige unserer Songs haben zudem esoterische Texte, bei denen man zwischen den Zeilen hören und herausfinden kann, was wir zu vermitteln versuchen.
Das Thema eures Albums ist eine Astralprojektion, wie ihr mir verraten habt.
twinflamegirl: Ich beschäftige mich schon seit längerer Zeit mit Magie, oder eigentlich: Magick.
Magick?
twinflamegirl: Es ist Magie, aber nicht im Sinne von dem, was einem in den Sinn kommt, wenn man daran denkt, sondern eher im mystischen und spirituellen Sinne. Bei der Astralprojektion geht es vor allem um den magischen Aspekt. Darin finden wir eine Menge neuer Informationen wie astrospheres.
Das Interview erschien in voller Länge bei mica.
Weiterdenken, weiterrauschen:
- Die Rückeroberung der Straße besprach Frank Jödicke mit den Macher:innen der Sommeroase Hasnerstraße
- Michaela Obernosterer sah die Eröffnung des kleinen slash-Filmfestivals
- Eli Preiss verrät Stefan Niederwieser, wie viel 16 Bar von ihr kosten
- A wie Avantgarde-Pop sagt Gloria Amesbauer im Gespräch mit Dominik Beyer
Iva Olo im Interview
Iva Olo ist die wahrscheinlich schnellste Rapperin in Wien. Die Musikerin, die im Vorjahr ihr Debütalbum »Notes« veröffentlicht hat, produziert dabei so fleißig Singles, dass man sie nur bei ihrer Freizeitbeschäftigung Parkour auf der Donauinsel, einholen könnte. Ania Gleich und ich haben sich mit ihr an einem Nachmittag im Weidinger zusammengesetzt – und über Mind-Hacks und Frauen-Flex geplaudert.
Du tust also so, als wärst du eine Parkouristin?
Iva Olo: Nein, nein, schau dir mal die Videos an. Es ist ein schwieriger Sport, körperlich anstrengend. Man braucht ein gewisses Maß an Hingabe. Das Gleiche gilt für Kampfsportarten wie Martial Arts.
Das machst du auch?
Früher schon, ja. Wegen Covid konnte ich aber lange nicht ins Fitnessstudio gehen. Irgendwann bin ich einfach raus und habe mich bewegt – ohne auf konventionelle Bewegungen von Parkour zu achten.
Du lebst in Extremen: Parkour, Kampfsport, Doubletime …
In letzter Zeit verwende ich mehr Zeit auf meine Musik. Das ist wiederum einer der Gründe, warum ich von Zeit zu Zeit rausgehen und mich bewegen muss. Manchmal filme ich das, aber eigentlich ist das nur meine natürliche Art, mich zu bewegen.
Das Interview erschien in voller Länge bei mica.
Was diesen Monat rauscht
Terz Nervosa – »Shadow Eyes« (Tender Matter)
Die Sonne fällt vom Himmel, trotzdem reißt Fürstin Finsternis die Vorhänge zu. Könnten schließlich noch Reste von Lichtpartikeln die moltonschwarzen Feierlichkeiten stören. Heißt: schwer wie ein Bad wie in einer Weihrauchrauchwolke.
Voyage Futur – »Wellen« (Not Not Fun Records)
Lehmann zeigt uns, wo der Barthel den Möstl holt. Als Voyage Futur hängt sich der Selfmade-Producer zwei Herzchakren um den Hals, stellt den Zimmerbrunnen auf volle Pulle und raucht das Räucherstäbchen von hinten.
Jungstötter – »One Star« (PIAS)
Marketingtechnisch mehr als ein Auffahrunfall ist es, den Alpen-Nick-Cave Jungstötter ins Frühlingsgeschehen zu entlassen. Die Platte hat so viel mit blühenden Blumenwiesen zu tun wie die Austria mit der Champions League.
Iron Chair / DJ Warzone – »Domination« (Misericordia Records)
Schmerzhafter als dieses Tape der Wiener Streckbankjünglinge ist nur das Wegsäbeln von Hämorrhoiden. Genau richtig für das erste Sonnenbad auf der Praterwiese.
klaus:maria – »troubles im Verteilerkreis« (s/r)
Während Moser den Obolus fürs Donaufestival am Rechenschieber eruiert, lebt Klaus sein Leben. Der Mann fährt mit der Vespa ins rhiz, trinkt Averna Sour im Future Garden und lässt sich gern beschimpfen. Zumindest von Maria. Dylan wird aus ihm deswegen nimmermehr. Applaus für Mut und Muße gibt’s trotzdem.
Hyperreality – »Compilation Vol.1« (s/r)
Die coolen Kids aus Wien machen ein cooles Festival, bei dem sie viel coole Musik spielen, die auf einer coolen Compilation landet. Alles ziemlich cool!
Blank Picture – »Night Steps ( The Singles Collection Vol. 2)« (A-Dur Records)
Reißen Molchat Doma wieder einen TikTok-Trend? Oder fegen die 80er mit Kajal und Krawall durch die Gassen Wiens? Egal wie: Blank Picture produziert auf A-Dur in D-Moll.
Burnswell – »Populution« (s/r)
Auf den Festival-Line-ups stehen seit 20 Jahren dieselben Namen. Kein Wunder, dass Leute immer noch Musik machen, die so klingt, als käme sie aus einer Zeit, in der man Limp-Bizkit-Alben von Limewire zog.
Antonia XM – »Flawed RMXS« (Ashida Park)
Peter saugt, Taylor swift. Und Antonia packt die Klampfe aus, um mit den Lagerfeuer-Vibes aufzuräumen.
ZICLA – »Yonder« (s/r)
Es gibt elektronische Musik. Und es gibt ZICLA – ein Duo von Cao Thanh Lan und Gregor Siedl. Die eine klimpert am sogenannten Marxophone rum, der andere verkabelt seiner Klarinette. Das hört sich genauso geil an, wie es klingt. Versprochen.
Loather – »Eis« (s/r)
Loather releast. I listen. Mehr gibt’s über Wiens wichtigste Black-Metal-Band nicht zusagen, außer: Das Ding wird mich während der Hundstage runterkühlen wie Eislutschker aus der Gefriertruhe.
Woxow – » How Many Ancestors Do We Have?« (Little Beat More)
Woxow zaht mit seinem Label Little Beat More genau den Geschmack, den man sich an einem freien Freitagmorgen als heißgetränklerische Sünde in den Rachen kippt. Die Info, dass er sich für seine neue Platte eine halbe Bigband samt MC unter die Markise gestellt hat, hilft zum Verständnis. Oder nicht.
Pharma – »Morena / Clave« (s/r)
Apropos Freitagmorgen: Pharma streichelt über den Subwoofer, damit unsere Leinenhosen nur ganz sanft flattern.
BYDL – »DSD x Morast Tour Ambience« (s/r)
Die Neue Wiener Radikale war auf Tour. Der BYDL ließ das Mikro laufen. Deshalb hören wir Vögel und Staubsauger und Klaviere. Aus Ostrava und Poznań und Brünn. Leider fehlt: die Toilettensituation auf der Autobahnstation.
Ora Et Labora – »Ora Et Labora« (Amen)
Endlich! Der erste Release auf Amen seit fast zwei Jahren. Die Bastion für Weirdo-Electronica mit einem Handerl für die Auslösung von körperlichem Unbehagen kehrt mit einer Ansage zurück: Hände falten, Goschen halten!
Essigfabrik – »das macht nix« (s/r)
Sie schreien, sie schrammeln. Ihre Lieder heißen »ritalin II« oder »grünkohl«. Essigfabrik machen fröhliche Musik, weil sie fröhliche Menschen sind. Ach ja, 1312!
Lowbau – »Still There Is War« (s/r)
Metal aus der Lobau und die Gitarren sind so sludgy wie die Dechantlacke nach einem Besuch vom Petzner.
Glam – »The Color, The Dark« (s/r)
Manche Menschen freunden sich während langen Wintern mit ihrer Tageslichtlampe an. Andere nehmen ein Album auf, das so dunkel funkelt, dass sogar ein Cover von Kate Bush zum Soundtrack eines Trauerzugs wird.
Windtal – »Impermanence« (s/r)
Hätte ich nicht die Stücke von Windtal gehört, ich dächte jetzt nicht an Jóhann Jóhannsson und seine Musik. Danke.
Moa Kilz – »salty sweet« (s/r)
Nicht jede:r ist mit einer Stimme gesegnet, die sich so anhört, wie Calippo Cola schmeckt. Moa Kilz hat sie. Und mit Ines Kolleritsch und Juilan Berann die richtigen Menschen an den Reglern, um fünf Nummern für die FM4-Charts zu produzieren.
Anschlagskurve – »2« (s/r)
Grazer Stressmusik ohne Grund und zweite Kasse, bitte, danke, Oaschloch!
Diezel Tea – »Էմմա« (s/r)
Bässe sind Waffen. Waffen sind gefährlich. Das merken wir uns, wenn wir damit zwischen Innsbruck, Wien und Mayakovski unsere Speaker zerschießen.
Kramuri – »Kramuri« (s/r)
Linz. Noise. Rock. Das hat Tradition. Dafür steht die Stadt mit ihrem Namen oder ihrem Image oder was auch immer.
Half Darling – »Half Darling« (konkord)
500-Euro-Frage: Was hat Operette mit Punk zu tun? Rage against the Half Darling!
FIN – »Alleviate« (s/r)
Für alle, die zwischen Sigur Rós in ihrer schlechten Phase und Deafheaven nach einer Schnittmenge gesucht haben, hier ist sie.
Johnny Batard – »Calimero« (Post Office)
Johnny Batard ist der Liebling aller Mittvierziger in den darbenden Musikredaktionen des Landes. Warum? Weil er ein Mann ist, mit dem sie sich identifizieren können: bissl verplant, bissl räudig, ein Wanda ohne Welterfolg in Österreich halt.
The Smiling Buddhas – »Never Ever Forever« (base)
Ob hurtig hastend, im strammen Stechschritt oder doch verträumt wie eine Fata Morgana: Wenn’s in Urfahr aus dem Keller bumpert, lächeln Buddha-Figürchen sanft zu Berghain-Beats.
Bevor wir auseinandergehen …
Zwei Männer sprechen über früher. Darauf muss man erstmal kommen, dachten sich Berserker und Schimanski – und schlachten ihre Jugend unter Bravo-Poster in einem Popkultur-Podcast aus. Bevor jemand fragt, ob die 90er angerufen haben. Ja, wir sind ziemlich cool!
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Christoph Benkeser ist freier Journalist, Redakteur und Radio-Moderator. Sag »Hi« via E-Mail schreibe ihm für eine Zusammenarbeit.