Im Flieger mit der Angst
Hi, mein Name ist Christoph Benkeser. Du bist bei Grundrauschen gelandet, einem Newsletter zu sogenannten Subkulturen in Österreich. Hier schreibe ich einmal im Monat auf, was in der österreichischen Musik noch passiert, außerdem gibt es aktuelle Veröffentlichungen, die gut sind oder schlecht.
Heute im Newsletter: Im Flieger nach Berlin, Interviews mit enns und Ellende. Außerdem wie immer: die aktuelle Musikrundschau.
Grundrauschen zum Tag
Im Flieger nach Berlin, vorne DJ Ötzi, der gönnt sich die Vorhang-zu-Klasse. Hinten billig, neben mir: Nepobaby Oskar Haag, mit einer viel zu großen, gelben Brille, die soll wohl cool aussehen, aber was weiß ich. Ich schau ja nur. Und dann weg. Aus dem Fenster. Gleich sind wir da. Einen schönen Aufenthalt oder eine gute Weiterreise wünschen wir im Namen von ja ja.
Draußen dann: ziemlich, kalt. Durchsage für alle englischsprachigen Passagiere der ostdeutschen Bundesbahnen, es geht wahrscheinlich nach Spandau, aber da wollt ihr eh nicht hin – ein paar lachen, der Rest hat es nicht verstanden. Das ist Berlin, sagt irgendwer, der eher nicht aus Berlin kommt.
Ich also, raus beim Ostkreuz. Es ist Samstag, da ist viel los. »Ich will heute keine Teile nehmen, am Montag krieg ich meine Tage«, sagt die vorauseilende Vernunft, die hier blond ist und vielleicht 15. Aber das sind nur Fetzen im Vorbeigehen.
Ich hör heute ja nur zu. Dafür bin ich da. Davor sollt ich zwar auch was sagen, das heißt: MODERIEREN, aber das klingt viel zu wichtig, deshalb sag ich: Ich red ein bisschen was und dann nur noch ihr, ok? Also sitzen wir da alle, im ://about blank, guter Club, früher schon mal dagewesen, lange her. Jedenfalls jetzt offiziell, Händeschütteln, hallo, danke, ja doch, schwieriges Thema, aber wichtig, klar!
Es geht um: das »Klima der Angst« in der sogenannten Clubkultur. Das ist ein guter Titel, dachte ich mir schon, als mir Flo, eine dieser wichtigen Menschen vom blank, die Einladung geschickt hatte. Ist nämlich nicht so, dass Probleme für Clubs wie steigende Preise, Wegfall von Räumen und so weiter ausschließlich von AUSSEN kommen.
Die sogenannte Szene hat schon auch ihre eigenen Probleme. Vor allem, sich auf Themen wie, sagen wir, den Nahostkonflikt draufzusetzen und dann zu sagen: Das ist jetzt richtig und das ist falsch und wenn du sagst, dass das nicht richtig ist, bist du ein…
»Scheiß Kindermörder«, schreien zwei Palitücher vor dem blank zu einer Traube von Leuten, die reinkommen. Die zum Talk wollen. Um ein »Zeichen zu setzen«, wie sie später meinen. Gegen die Angst, klar. Aber auch »für den Mut«, wie Sascha Disselkamp, einer der Panelgäste, sagt. Schließlich sei Berlin keine Stadt, in der man Angst wegen Antisemitismus akzeptieren könne. »Berlin ist eine mutige Stadt«, so der Berliner ClubCommission-Gründer und Sage-Club-Betreiber.
Das muss man natürlich KONTEXTUALISIEREN. Kann ja vorkommen, dass man – Herrschaftszeiten – noch nie gehört hat, von den Boykottaufrufen und Cancelings, mit denen man sich als LINKER Club von LINKEN Verwirrten konfrontiert sieht. Von denen man bedroht wird, wenn man sich hinstellt und sagt: Du, sorry, also die Sache mit dem 7. Oktober, das war schon ein Terroranschlag und ist als solcher zu verurteilen.
Aber das hören sie nicht. Diese DJs und Veranstalter:innen und Clubgeher:innen, die italienische Fahnen posten und dann Free Palestine drunterschreiben. Die Buttersäure an Hauswände schmeißen. Hamas-Symbole an private Türen schmieren. Das wollen sie vielleicht gar nicht hören, sagt Flo vom blank, der auch mitredet, weil sich neben Mo Loschelder und Sascha Disselkamp niemand mehr finden ließ, dem öffentlich was gegen dieses »Klima der Angst« einfällt.
Dabei schreib ich gerne dazu: Das blank kontextualisiert für einen Club sehr genau – man findet Doktorarbeiten mit weniger Zitationsverantwortung. Und dennoch: Der Club steht auf Boykottlisten, Künstler:innen sagen deshalb ihre Gigs ab, alle sind verunsichert.
Heute positioniere man sich gegen Antisemitismus und bekommt bald eine Nachricht, in der man dir die Zusammenarbeit aufkündigt, sagt Loschelder. Mit ihrer Agentur vertritt sie Gudrun Gut oder Charlemagne Palestine und hat genau sowas zuletzt erfahren – weil sie sich gegen jede Art von Rassismus äußere und islamistische Terrorangriffe auch so benenne, wie sie sagt.
Während wir am PODIUM bei circa fünf Grad Raumtemperatur langsam warm werden, findet in Wien eine tolle Konferenz statt: Vienna After Dark. Dort redet man über blinkende Armbänder und Drogen und Spotify und alles, was man sonst noch so reinpacken kann in den Club, um sich mal fünf Minuten als »Hotspot des globalen Nachtlebens« zu fühlen.
Aber dann blättert man im tollen Programmheft und merkt, so richtig mit sich selbst beschäftigen, das tut man da nicht. Klar, man will die tolle Party nicht mit Politik sprengen, von der man eigentlich die Kohle haben will. Also akzeptiert man, was in Berlin lange akzeptiert wurde – schweigend, bis irgendwer doch mal darüber reden wollte.
Das ging dort schief und das wird da schief gehen. Vielleicht erst in zehn Jahren, wie die Wiener Clubcommision-Chefin Martina Brunner sagt. Ob das dann immer noch so »positiv« ist, wie sie meint?
Na ja, zuerst geht es zurück nach Wien: DJ Ötzi fehlt. Dafür ist FM4-Fuchs dabei. Ich schiele zu ihm rüber, denk mir, na der Mann hat immer so schöne Haare.
Grundrauschen gibt’s gratis
Radio Gaga
Heute ist der dritte Dienstag im Monat, das heißt: Heute läuft wieder Grundrauschen auf Radio Orange 94.0.
enns im Interview
Es ist spät. Du bist verloren. Hoffentlich ruft jemand an. Diesen Depri-Dreiklang hat auch schon länger keine Band gegenwartsgehaltiger über ein paar Gitarrensaiten geschrien als ENNS. Über das Hitpotenzial des Namen darf man streiten, die Musik soll es richten. Dafür reichen sich KENJI ARAKI und YBSOLE die Hände, live greift auch ein DJ ein. Mag Rock sein, jedenfalls die Zukunft – sagt die Vergangenheit. Und fängt mit „everyone’s trying so hard, it breaks my heart” (VÖ: 8.11.2024, Kodomo Kuni) erstmal an.
Ich hab das Album gehört. Es hat mich traurig gemacht.
Ybsole: Eine gewisse Trauer trägt man immer in sich, I guess?
Kenji: Wir scherzen, aber eigentlich trösten wir uns die ganze Zeit.
Ybsole: Traurigkeit kann ja ein schönes Gefühl sein, vor allem wenn man sie von jemand anderem hört. In a way kann man sich darin aufgehoben fühlen. So hält man sich besser aus.
Kenji: Vielleicht sagen wir nicht traurig, sondern tröstend. Ich mein, Musik kann schnell traurig klingen, das hat keinen Mehrwert, es ist ein Verständnis. Trost ist viel komplexer.
Ybsole: Aber Traurigkeit klingt nur leicht, wenn man sie mit Happiness behandelt. Klar, ich kann mir einen schönen Funksong anhören und es wird mir kurz besser gehen. Nachhaltiger ist aber traurigere Musik. Ich höre sie. Ich arbeite mit dem Gefühl. Ummantel es. Und lebe damit, ohne es zu bekämpfen. Weil es nichts bringt, das Traurige zu vertuschen.
Kenji: Plakative Happy-Songs, in der jemand singt, wie schön es ist, jung zu sein – das ist doch die eigentliche Traurigkeit, weil darin eine Erwartungshaltung steckt: Du musst jung sein oder glücklich. Und wenn du es nicht bist, bist du selbst schuld. Dann bin ich lieber ehrlich und sag, dass ich gestern nicht allein sein wollte.
Ganze Interview? Hier zur mica.
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Ellende im Interview
Lukas Gosch steht seit über 13 Jahren hinter dem Black-Metal-Projekt Ellende. Dieses Jahr erschien das Album „Todbringerin” – eine Neuveröffentlichung von „Todbringer” aus 2016. Ich konnte mich mit dem Steirer in einem seltenen Interview unterhalten.
Mit dir hat in 13 Jahren niemand fürs mica gesprochen, warum?
Lukas Gosch: Ich hab mich auch nie aufgedrängt. Für Ellende war der Markt immer eher Deutschland. Österreich dagegen war nie Thema. Ich weiß auch nicht, warum. Es ist halt so. Ich sag aber gerne. dazu: Die Aufmerksamkeit ist für mich sowieso zweitrangig. Ich will meine Musik machen, das kann ich tun – der Rest ist mir egal.
Es ist dir egal?
Ich wollt ja nie in die Medien. Ich wollte immer auf die Bühne. Sobald ich da drauf stehe, pusht mich das Publikum. Plötzlich geht es nur um die Musik. Das hab ich in den Medien nicht. Deshalb hab ich auch schon oft Interviews abgelehnt – einfach weil ich merke, dass sich das Gegenüber gar nicht für die Musik interessiert.
Also reden wir über die Musik: Du hast dein Album „Todbringer” neu aufgenommen – es heißt jetzt „Todbringerin”.
Es geht ja um das Gemälde von Jan Vermeer. Seinen Ausdruck schätze ich sehr, da kommt immer ein gewisses Gefühl durch. Auch weil man sieht, wie die Personen damals gelebt haben. Gleichzeitig wollte ich das Bild neu interpretieren. Die Frau wird zum Tod. Dazu kommt die rechtliche Komponente. Ich konnte das Album nicht einfach neu auflegen, es war ja schon bei einem anderen Label.
Du hast den Taylor-Swift-Move gemacht – und neu aufgenommen.
Genau, alles. Auch die Artworks habe ich neu machen müssen. Den Titel dazu aus Sicherheitsgründen leicht verändert. Die „Todbringerin” war für mich offensichtlich. Außerdem freut es mich, weil es die elitären Black-Metaller ein bisschen ärgert.
Das vollständige Interview? Kommt demnächst bei der mica.
»Sehr geehrter Herr Berserker …
Das ist Lametta für die Ohren!« (Promo-Mail von Karin Bachner)
Was diesen Monat rauscht
Ingrid Schmoliner – I Am Animal
Man kann ja alles Mögliche sagen über die Kirche, aber dort stehen einfach die besten Orgeln. Und so spielt sie lange und so knien wir danieder, weil: Dein ist das Reich und der Riley und alles ist herrlich!
Tonal Shift – The E.P.
Wir rauchen nix, wir trinken nix, wir fressen fünfundzwanzig Ergänzungsmittel für die Darmflora und am Abend schreien wir dann laut rum.
Daniel Bierdümpfl – ADHD for beginners
Hallo, ich bin jetzt auch Künstler, und das ist mein neues Album, wär voll toll, wenn ihr mal reinhört!
SOVIE – bei mir
Ich kann mich nicht entscheiden, FM4, Ö3, Radio Stephansdom, Hilfe, das ist ja total overwhelming!
Sebastian Bauer – Past/Fear
Menschen, die solche Sachen sagen: Klangdusche, Klangteppich, Klangwelt. Ich hab euch lieb.
i4aw4e – creatures of another existence
Sag mir, wie sehr du SOPHIE feierst, ohne dass du mir sagst, dass du SOPHIE feierst.
Julia Just – analogy of the unspoken (Transformer Music)
Heute wollen alle den Sound machen für dystopische Netflixserien, die keinen Sinn machen, aber der Soundtrack war halt schon super.
Südosttangente – Balkanroute
Es ist immer schön, bis dir dann einer von denen erzählt, dass sie ihre Impfung mit einem Schröpfgerät aus ihrem Arm rausgesaugt haben.
Rojin Sharafi – O.O.Sacrifice (PTP)
Alle tollen Musikzeitschriften MIT ANSPRUCH schreiben, oje, oje, wieso kommt diese ANSPRUCHSVOLLE Platte denn erst jetzt raus, wir haben ja schon seit Mitte März unseren anspruchslosen Jahresrückblick fertig.
Mala Herba – Wounded Healer
Manche Menschen hängen sich einen Kräutergarten um den Hals, das hilft sicher gegen irgendwas, man muss halt daran glauben.
Disruption – Tenebris kor tuum
Hab aus Versehen fünf Lieder gleichzeitig abgespielt. Hat keinen Unterschied gemacht.
Edwin – Garten Österreich (Heiße Luft)
Weil’s bei Bilderbuch nicht so läuft, ist Maurice jetzt Edwin und eigentlich war er das ja schon immer.
The Furious Pumpernickel – Wurst of the Worst
Pumpernickel, jedenfalls unterschätzt. Aber so lange die Leute lieber drei Stunden für ein halbvertrocknetes Avocadobrot anstehen, ist das auch kein Wunder.
Budokan Boys – I Became A Bird Of Prey (Small Forms)
Sicher so ein Abend, von dem die Dabeigewesenen heute noch gerne sagen: Da muss man dabei gewesen sein.
Kenji Herbert – A Million Forests of the Fall (Unit Records)
So ist das im Jazz, eine Hand flasht die andere.
Fleischschirm – Schirmherrschaft (Running Wild Productions)
Frag mal sicherheitshalber nach, ob du dein Haloumischnitzel auf den Rost legen darfst.
RinniR – Messy SIlence (Epileptic Media)
Ich-schau-aus-dem-Fenster-und-mach-nichts-so-geht-das-einige-Stunden-und-irgendwann-ist-der-Tag-geschafft-Soundtrack
Dreamer Dreamer – New Face
Du hattest recht, es war wirklich keine Phase.
Discure – Soundtrack for people who hate music (Grazil Records)
Ah, schön, Discure gibt’s immer noch. Und toll, sie sind nicht leiser geworden.
Jogger – Strong (Cut Surface)
So klingt das, wenn man immer noch in Berlin wohnt, obwohl man längst woanders sein wollte.
Jerobeam Fenderson – N-Spheres
Der Chef hat gesagt, ich soll die teuren Geräte nicht mehr für meine privaten Zwecke verwenden, aber das ist mindestens so wichtig wie die Heilung von Krebs.
Holy Whores – Endloser Abgrund ins Paradies
Bitte, liebe Leute, denkt’s an eure Ohren.
Bevor wir auseinandergehen …
Der Journalist:
Die Journalisten:
Dir gefällt Grundrauschen? Rausch halt mit.