Hi, mein Name ist Christoph Benkeser. Du bist bei Grundrauschen gelandet, einem Newsletter zu sogenannten Subkulturen in Österreich. Hier schreibe ich einmal im Monat auf, was in der österreichischen Musik noch passiert, außerdem gibt es aktuelle Veröffentlichungen, die gut sind oder schlecht.
Heute im Newsletter: Popfestpropaganda für die Befindlichkeitsblase, Interviews mit Sun People und Zanshin. Außerdem: Links zum Lesen und die neue Musik.
Grundrauschen zum Tag
»Fresh, oag, rough, crazy, extravagant« sind nicht nur die Begleiterscheinung vom Mittagsmenü in der Oaf-Kantine, sondern auch: das Popfest-Programm 2024. Zumindest steht das so in der Aussendung, die alle Kulturredaktionen brav abgetippt haben, weil: Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn die »Seele der Wiener Popkultur« am Karlsplatz einschläft, ist das bitte »ziemlich funky«!
Da dürfen schließlich staatlich subventionierte »Musikexpert:innen« mitsamt mittelmäßig erfolgreichen (d.h. ausschließlich auf FM4 stattfindenden) Musiker:innen ihre LinkedIn-Lebensläufe pushen. »In eigener Sache« ist man nämlich irgendwie dabei, entweder als »Kurator« oder »freie Warenprobe«.
Auf den circa 27 Dosenbierbühnen schwenkt man dann »Räume öffnend« die Regenbogenfahne und bedankt sich bei den vielen Fördergeber:innen und den privaten Partner:innen. In den Kulturabteilungen der Stadt Wien hat man ja schon alles gelutscht und geleckt, da muss man nach 15 Jahren Popfest nicht mehr so gschamig tun, um wie heuer 260.000 Euro zu ergattern.
Nach der Sozisause auf der Donauinsel und zwischen der Sommerlochstopfung von Daheimbleibern in »Randbezirken«, fördert die Stadt nämlich »mitten in der Stadt« die sogenannte Popkultur. Das darf man nicht schlecht finden. Man muss aber auch nicht bedingungslos applaudieren, weil ein »Kuratorenduo« den erweiterten Freundeskreis durchklingelt. Oder die Kulturstadträtin eine »Energiespritze für Kopf, Bauch und Herz« ansetzt.
Trotzdem lassen sich natürlich alle brav stechen. Ein paar stellen sich sogar immer wieder an – »Indie-Helden«, und »Ex-Kuratorinnen« zum Beispiel. »Kultbands« auch. Und selbst »Gitarren-Kapazunder« bittet man sicherheitshalber zur Auffrischung – nicht, dass man sie noch verpasst, die jetzt wahrscheinlich wirklich unverzügliche »Pop-Sensation«!
Warum bei einem »Zeichen setzenden« Gratisfestival unbedingt »Magneten« auftreten, die irgendwie immer noch die Arena vollkriegen oder das Konzerthaus, müsst man mal runterrationalisieren. Wahrscheinlich wegen des »Nischenproblems«, das man als FM4-Moderatorin hat oder nicht. Aber wuascht. Sind ja alle »einzigartig«, sogar die Altbaupunks und Deutschpop-Drogenkinder.
Von letzteren hat man zum Glück noch nie gehört, erkennt sie aber an den tollen Namen, die sonst noch so auf dem Poster fürs Popfest stehen, Kategorie: gute Beziehung, reiche Eltern und-oder versehentlich beim Booking verwählt, weil die sich so nennen, wie vernünftige Menschen die Nummer ihres Dealers abspeichern.
Das mag gemein sein oder Geschmackssache. Oder aber »Attitüde«, die das Popfest sucht, wenn man eigentlich »hat ein geiles Instagame« meint. Deshalb sagt man irgendwas und dann »Pop«, weil: »So Pop war es noch nie«. Geht ja neuerdings alles »durch die Mitte« – Mainstream ist Alternative, Kommerz irgendwie Indie. Und wenn die Leute am Küniglberg ihr Koks gezogen haben, glauben sie auch selbst daran.
Schließlich muss man dort ja noch die sogenannten Songs senden. Zwischendurch Billie Eilish oder Peter Fox, dann wieder eine sleazy Schlampenband aus Österreich. Man wird sich noch wundern, was alles inkt, wenn man erstmal die richtigen Leute in der Redaktion installiert hat.
Naja, sagen die, die es besser wissen müssten. Und dann gehen sie doch zum Nino und Ja, Panik und dem Oskar, weil der singt ja fast so schön wie sein Vater. Außerdem wird neben »regenbogenglitzerndem Hyperpop« ja auch »mehr gerockt als je zuvor«. Das soll man wohl als Angebot »zur Partizipation« begreifen, darf man aber auch als Drohung auffassen.
Aber alles egal, du bist eh at home, baby!
Grundrauschen gibt’s gratis
Simon Hafner ist Sun People im Interview
SIMON HAFNER macht Kultur in Graz, eine Radiosendung bei dem immer schon guten britischen Basssender Sub.FM. Und seit über 20 Jahren Musik. In wilderen Zeiten nannte er sich Simon/Off und filzte sich die Haare. Noch früher war der Winterstrand, ein Projekt unter Brüdern. Inzwischen ist HAFNER schon seit ein paar Jahren sehr souverän Vorstandsvorsitzender der IG Kultur Steiermark. Und nennt sich auf Bandcamp und Bühnen SUN PEOPLE. Veröffentlichungen via schönen Labels wie Exit, outlines und candy mountain sprechen mehrere Sprachen. Ein Gespräch über Grazification und Gategiving.
Wieso kommen deepe, dubsteppige Sounds so häufig aus Graz?
Simon Hafner: Als hier Ende der 2000er Jahre musikalisch viel los war, hat der Journalist Chris Hessle Graz als „Bristol of Austria” bezeichnet. Weil Bassmusik da wie dort immer wichtig war. Außerdem ist Bristol wie Graz die große Stadt neben der Hauptstadt. Man will sich abheben. Das war zumindest die letzten 20 Jahre so. Zwischenzeitlich hätte auch was Großes passieren können. Es gab das Niesen Berger, ein Independent-Club für fast 1.000 Leute, der regelmäßig zu den besten Österreichs gewählt wurde. Es gab starke Netzwerke zwischen DJ-Crews und Veranstaltenden. Und: Das Elevate war damals voll im Saft.
Was ist dann passiert?
Simon Hafner: Die konservative Stadtpolitik hat ein neues Veranstaltungsgesetz erlassen. Daraufhin haben viele Clubs zugesperrt. Eckpfeiler der Szene sind weggezogen. Das hat die Dynamik gekillt.
Und heute?
Simon Hafner: Es gibt einzelne gute Veranstaltungen wie die Nerd Nights im Dom. Daneben sind SUb und Forum Stadtpark aber die wenigen alternativen Venue-Konstanten, denn: Die avancierte Clubmusik-Ecke ist in Graz klein geblieben. Dass sie trotzdem möglich ist, geht nur, weil manche Dinge anders machen.
Wie meinst du das?
Simon Hafner: Wer in einer Stadt wie Graz an bestimmten Dingen interessiert ist, kennt sich. Es leben hier zu wenig Leute, dass Szenen nebeneinander existieren könnten. Also tauscht man sich aus, arbeitet zusammen. Und hält Beziehungen zu Artists, die ein Andersmachen möglich machen.
Das ganze Interview gibt’s bei der mica.
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Zanshin im Interview
Musik von ZANSHIN war bisher vor allem: viel. Befindlichkeitsapostel sagen auch anstrengend, weil sie nur Narkolepsieradio kennen. Jedenfalls: ZANSHIN hätte man nicht unbedingt einen allerweltlichen Ambient-Ausreißer zugetraut. „Ok Ocean” (VÖ: 31. Mai 2024 via Affine Records) ist das zum Glück auch nicht geworden. Es fehlt zwar alles, was klescht und knallt – aber man streckt die Arme aus, die Beine sowieso. Und dann treibt man dahin. Das ist dreimal billiger als das Afterworkticket in Oberlaa. Und sicher fünfmal so entspannend, versprochen!
Eineinhalb Stunden Ambient, kann man mal machen!
Zanshin: Auf Kassette, kein Problem! Die Laufzeit ist auch ein Gegengewicht zur allgemeinen Entwicklung in der Musik: Auf Spotify landen nur noch Zweiminutentracks. Also mach ich das Gegenteil.
Hat das nicht letzthin auch Billie Eilish über ihr neues Album gesagt …
Zanshin: Wo sie über die heutige Aufmerksamkeitsspanne spricht?
Genau, das Argument ist: Die Leute haben keine kürzere Aufmerksamkeit, sondern …
Zanshin: Wenn der Inhalt gut genug ist, hört man sich alles an. Es ist also eher ein Qualitätsdefizit, keines der Aufmerksamkeit, ja. Außerdem erfordern gewisse Musiken eine gewisse Länge. Damit man reinkippen kann, muss man sich Zeit lassen.
In deinem Fall ist das Deep Listening auf schön.
Zanshin: Ich hab mich getraut, die Schönheit zuzulassen – ohne extra einen Störfaktor reinzubringen. Für meine Verhältnisse habe ich also ziemlich wenig gemacht, was allgemein immer noch viel ist. Das ist mir erst beim Mastern aufgefallen: Es passiert vieles gleichzeitig. Was rewarding ist, weil man mehr hört, wenn man die Musik öfter hört. Das hat Mehrwert gegenüber kurzer Häppchenbefriedigung. Selbst wenn ich es auf random play über sechs Stunden im Hintergrund laufen lasse – man taucht ein.
Das ganze Interview gibt’s bei der mica.
Was diesen Monat rauscht
Die Like A Dog – Die Like A Dog
Bissl Trost zum Trauermarsch, schließlich hat sich eine Hälfte schon heimgedreht, aber die Hundstage kommen erst.
Ellende – Todbringerin
Manche Leute identifizieren sich als Totenschädel, denen muss ich nix mehr erzählen. Der Rat an den elendigen Rest: Vielleicht mal in die Karlskirche hineinprogrammieren und nicht immer austauschbaren Heidenscheiß.
Inali – Ionofá
Wer den Wocheneinkauf im Weltladen erledigt, wirft Panflötenindianern auch das Kleineleutegeld in den Strohhut. Aber seitdem die alle aus den Fußgängerzonen verschwunden sind, muss man sich den Soundtrack zur zweitätigen Heimfahrt auf dem Lastenfahrrad eben selbst pflanzen.
Hyperdog – Frog Mountain (XTRO)
Irgendwie klingen alle Songs gleich räudig, aber ist ja egal, weil Burschen, we are living in Amerika!
Aki Traar – Perpetuum Mobile (Ashida Park)
Manche Dinge passen nicht so gut zusammen, Deutsche und Urlaub, Frucade im Eierlikör, Rückgrat bei Politikern. Aber Aki und Ashida, das geht sich aus.
TJ Tall – Grown in Diaspora
In der Bullshitbingoblase, wo alle immer alles super finden und das dann Feedback nennen, könnte man auch politischkorrekt sein Morgenlulu trinken, die Leute würden das irgendwie inspirierend finden.
FX666 – Thanatose
Nasse Haare und Klimaanlage auf zwölf Grad, so circa die Gefühlslage beim einzig wahren Hüslebauerambient.
Marie Vermont – Backflip Suicide
Stolpern und dann in einem 15 Minuten langen Akt die Treppe herabsteigen, während das jemand heimlich aufnimmt zur allgemeinen Belustigung.
Drahthaus – BrEaK iNtO yOuR hOu$e
Man weiß gar nicht, was besser ist. Der Song, das Video oder der Blick meiner Freundin, wenn ich das Teil zum Sonnengruß in die Rotation drehe.
beauchamp * geissler – 0___0_0
Ja, das ist diese Avantgarde, die ich nicht verstehe, aber manchmal muss man nix checken, um irgendwas gut zu finden. Außerdem geht mir das letzte Lied nicht aus dem Kopf, tja.
Beklen Band – Kirmizi
Einmal 14 Tage all-inclusive zum Ganztagesmentoring in den Cluburlaub pauschalisieren und danach allen erzählen, wie toll die es da haben, in Favoriten.
Coma. – Phantom Limbs (Musical Excrements)
»No place like Feldkirch«, schreien sie und meinen es wohl ernst. Mit dem Schreien und der Stadt, weil: Slipknot aus dem Ländle, aber alles tut nur noch weh.
Tabula Rasa – Ausschweifungen
Der Schinderhannes und der Lanz und der Rausch und der Irrwurz – so heißen die Leute am Land. Und sie sind mir alle lieber als diese Neubaunieten, ich sag es euch!
Demuja – Plant on Canvas
Bernhard Weiss ist so ein Schlingel, jedes Mal, wenn er Musik raushaut, kaufen sich wieder zweidrei wohlstandsverwöhnte Huankinder einen DJ-Controller und, was soll man sagen, es ist ja nicht vollkommen verkehrt, wenn man eine gute Zeit hat und gerne kaut und so gegen vier Uhr 37 diesen zweiten Track auflegt.
Mietze Conte – Mietzee
Leute, die das ernsthaft schlecht finden, klauen auch 25-Prozent-Markerl aus allen Postkasten.
Bevor wir auseinandergehen …
Schöne Hundstage!
danke fürs feature⋆☀︎。