Die österreichische Scheisse Pt. 2
Hi, mein Name ist Christoph Benkeser. Du bist bei Grundrauschen gelandet, einem Newsletter zu sogenannten Subkulturen in Österreich. Hier schreibe ich einmal im Monat auf, was in der österreichischen Musik noch passiert, außerdem gibt es aktuelle Veröffentlichungen, die gut sind oder schlecht.
Heute im Newsletter: schon wieder schlechte Neuigkeiten, Amadeus. Interviews mit Maja Osojnik und ERNST. Außerdem die begnadeten Musikanten des Landes.
Grundtauschen zum Tag
Es ist wirklich sehr einfach, etwas ganz Fürchterliches zu schreiben über den großen, tollen Musikpreis, der jedes Jahr in Österreich vergeben wird. Deshalb muss man es ja auch machen. Weil es sehr einfach ist und weil schon wieder die gleichen (oder dieselben, äh?) Quartalsirren einen Türstopper bekommen haben. Also, die und der und bitte, wer sagt eigentlich Hard und Heavy außer untersetzte Plattenladenidioten mit Pferdeschwanz und Ledertschoperl.
Ich mein, halleluja. Wo treibt man diese einfühligen Bespaßungsbeauftragten mit Hang zum Drogendealer in einer dermaßigen Konstanz auf – ich weiß es nicht, aber hier sind sie. Schon wieder. Der eine sagt, er war grad eine rauchen bei der großen Bescherung und findet das ganz lustig. Der andere feiert Weihnachten und kurbelt mit seiner Crew den kolumbianischen Wintertourismus an. Kurze Zwischenfrage an die zugeschnürten Herren, die immer einen Steifen kriegen, wenn sie mal über die Wertschöpfungskette der heimischen Musikindustrie fabulieren: Zählt auch, oder?
Na ja, man muss es nicht sagen, man sollte es sich vielleicht sogar besser denken, aber ich finde, es schadet auch nicht, wenn man es dann trotzdem herumerzählt – die Songcontestconchita hat einen beneidenswerten Bartwuchs. Das ist ja unbedingt unterstützenswert, mit Gebühren und Liebe oder gebührender Liebe. Genauso wie der Harald Mahrer der öffentlich-rechtlichen Zirkusshow, der vermutlich Andreas Knoll heißt und überall mal seinen schönen Kopf hineinhalten darf.
Am Ende geht es nämlich um den Zusammenhalt. Was ja besonders wichtig ist als Familie, die man ist. Auch wenn manche nur so tun und andere immer ein bisschen zu cool sind und von der Seite reinpöbeln und am ausgerollten Teppich behaupten, dass ihnen das alles nichts bedeutet, dass sie am liebsten gar nicht hier wären, weil das alles viel weniger bringt als so ein geiles Reel auf Insta oder so.
Kommen tun sie natürlich trotzdem, das Fernsehen überträgt ja zeitversetzt aus irgendeiner Rinderhalle, und die Plattenfirma hat versprochen, dass man bei der Aftershowparty mit halbwegs berühmten Leuten koksen kann.
Insgesamt ist das also eine Sache, die man später gerne mal seiner Physiotherapeutin erzählt. Und die dann lange genug einrenken darf, dass man auch ohne die falschen Freunde sehr bedeutende Kunst, um nicht zu sagen: Musik machen kann.
Musik, die dann vielleicht keinen Preis gewinnt, für die beste Nebendarstellerin oder das Kostüm oder irgendsoeinen absolut relevanten Produktionsaspekt des künstlerischen Schaffens.
Aber wenigstens nicht SO UNFASSBAR LAUT INS OHR BLUTET, BIS EINER WEINT wie beim Gewinner des Besten Sounds, hurra!
Grundrauschen gibt’s gratis
Radio Gaga
Heute ist der dritte Dienstag im Monat, das heißt: Heute läuft leider Grundrauschen auf Radio Orange 94.0.
Maja Osojnik im Interview
Auf den Tisch stellt sie die Weihnachtskekse, Kaffeetassen und einen verschließbaren Aschenbecher. MAJA OSOJNIK hat sich in letzter Sekunde doch für die Atelierküche entschieden. „Sorry, aber sonst wär sich das alles nicht ausgegangen heute”, sagt die Arbeitsmaschine. Dann gurgelt die Espressokanne und wir reden. Über ChatGPT und Spaziergänge und Hörgymnastik und das Anziehen einer Hose – die kleinen Themen, die großen Gefühle, dazwischen: ihr Album, das „Doorways” heißt und bei col legno und Mamka Records erschienen ist.
Ich fürchte, wir müssen heute über deine Zeit sprechen.
Maja Osojnik: Ich habe ja nie Zeit, aber ich gehe bewusster mit ihr um. Ich will sie antikapitalistisch nutzen, das heißt: Ich nehme mir das Recht, meine Zeit zu verschwenden. Oder in einer Langsamkeit zu verweilen. Sei es in meinem Alltag oder speziell in der Komposition – ich merke, dass ich immer langsamer werde. Und damit detaillierter, fokussierter. Profunder in der Recherche.
Ja?
Maja Osojnik: Ja, es ist meine Auflehnung gegen die neoliberale Optimierung, die immer nur das Produkt und das Ergebnis in den Vordergrund stellt. Nie den Prozess.
Das ist ein gutes Vorhaben, die Auflehnung.
Maja Osojnik: Weil sonst alles verschwindet, oder? Man sieht oder hört etwas und scrollt daran vorbei und dann ist es weg.
Gleichzeitig steht alles nebeneinander – jemand klatscht sich Gurken ins Gesicht, jemand berichtet aus dem Kriegsgebiet, jemand zeigt einen Einblick in sein Studio.
Maja Osojnik: Man wird zum reinen Inhalt, der verschwimmt. Das stumpft ab für die Welt. Und auch für die Zeit. Ich glaube zwar, dass sich viele dieser Inszenierung bewusst sind. Denn genau das ist es doch – ein Spiel um Öffentlichkeit. Allerdings steht dahinter immer Unsicherheit, immer Angst, immer der Druck, nicht zu genügen. Die Frage ist: Wie geht man damit um? Ich denke, wir müssen uns in radikaler Empathie üben. Also, den Geschwindigkeitsdruck zu hinterfragen und auf eine Langsamkeit zu beharren.
Das ganze Gespräch, da bei der mica.
Weiterlesen, weiterdenken
- Misha Verollet hat Tinnitus
- Ania Gleich hat Sodl
- Fabian Lutz hat Mego
- Das Kollektiv Kaorle hat Geburstag
- Didi Neidhart hat chra
- Die VCC hat Party
- Ich hab endlich einen guten Film gesehen
»Sehr geehrter Herr Berserker …
Sara De Blue liebt es sich immer wieder neu zu erfinden. Jetzt zeigt uns die attraktive „The Voice Of Germany“ Sängerin (die bereits mit der Gitarristin von Michael Jackson - Jennifer Batten – aufgenommen hat) mit dem Titel „Cappuccino“ ihre Liebe zum Sommer & ihrem Lieblingsland Italien.« (aus der Promo-Mail zu Sara de Blue – Cappucino)
ERNST im Interview
ERNST sind viele. Drei davon haben es ins zweite Wohnzimmer in der Währingerstraße geschafft. An der Wand, zwischen bunten Gegenwartsbüchern und Kleiderschrankvorgestern, hängt der Rest der Bande. „Schau, wie ernst wir auf dem Poster dreinschauen”, sagt DAN COURTNEY. Und NICOLE SALOMON meint: „Ja, wir Schaufensterpuppen.” Dass das erste Album „More Illusions” (VÖ: 29.4.2025), keine kopflose Angelegenheit ist, muss man an der Stelle noch dazusagen. Aber das kann sich ja – wie alles – schnell ändern.
Mit euch sollte man zuerst über Politik sprechen, oder?
Nicole Salomon: Oh yes!
Dan Courtney: Sonst will man das ja eigentlich vermeiden, eher?
Weil man sich heute so schnell streitet?
Dan Courtney: Wir sind uns ja eh einig, meistens.
Elias Marte: Aber wir haben schon auch politische Streitgespräche.
Dan Courtney: Streit ist ein großes Wort. Vielleicht Diskussionen …
Nicole Salomon: Über dich.
Dan Courtney: Ja, ich darf hier als Brite ja nicht wählen, und bald bin ich 15 Jahre in Österreich, dann darf ich nicht mal mehr in Großbritannien wählen.
Und darüber diskutiert ihr – und schreibt zum Beispiel einen Song?
Nicole Salomon: Das war bei uns immer so. Außerdem ist in den letzten Jahren so viel passiert, was uns und mich aufgewühlt hat. Sei es gesellschaftlich oder politisch – als nicht-binär identifizierende Person kann ich gar nicht anders, als diese Erfahrungen in meinem Songwriting durchzulassen.
Das ganze Gespräch, drüben bei der mica.
Was diesen Monat rauscht
Concrete Pillow – Suffer/Swallow (Cancel Culture Kampf Musik Kollektiv)
Ja, Punk ist vieles. Also alles. Wenn man das dann lange genug manifestiert oder.
Adenocarcinoma – Malignant Neoplasm
Das ist es dann schon nicht mehr, oder wie ist das bei chronischen Hämorrhoiden eigentlich.
The Snub – MACHO? BULLSHIT!
Gut, da wird es wieder wärmer.
Dopamine – Awakening
In Bad Hofgastein sind sie bestimmt die allergrößten Rebellen.
Christian Bazant-Hegemark – Flow
Ich sag es ja sehr selten, aber wenn es dann so weit ist, sag ich es gern: Das ist schön und lieb und ich will eigentlich nur noch das hören heute.
Frank Farran – With You By My Side
Wie hieß dieser deutsche Verrückte, der in den Neunzigern so Sternfängerpopmusik gemacht hat, gleich fällt es mir ein, so lange kann dieser Satz nicht mehr gehen, nur noch einmal Komma und dann nochmal, jetzt, da ist es: Michael Cretu
Parole – Parole
Guter Name für eine Punkband, aber dann klingt das so, als hätt der Voodoo wieder mal einen Entzug abgebrochen.
the end of radio – vacuum dog
Erinnert mich irgendwie an eine gute Zeit, auch wenn sie eher schlecht war, aber das kann man ja immer erst im Nachhinein sagen.
Lan Rex – return recess (Tender Matter)
In Irgendeinem coolen Film spielts das ganz laut, wenn die Kamera ganz langsam durch den Club durchfährt, das Licht flackert, die Gesichter verschmiert sind und so weiter.
Orange Gone – Touch Echo (Numavi Records)
Ich werd es immer wieder sagen und ich sage es so lange, bis ich es nicht mehr sagen muss, dass nämlich dieser Orange Gone jemand ist, über den man noch viel sagen wird.
Like Elephants – The.Grey.One (LasVegas Records)
Wenn man nicht aufpasst, landet man mit sowas noch beim Songcontest.
initiative21 – Various Artists Vol. 1
Ich lese »ein breites Spektrum klanglicher Erkundung« und höre die Vierviertelkickdrum, okay.
Autor – Kommen und Gehen (Contergan Punk)
Ja, ja, es riecht schon wieder nach grindigen Gürtellokalen.
HannaTech – All Colours Are Beautiful
Ich war schon in dem Zustand, in dem ich dazu nochmal auf den Dancefloor gerannt bin. Und du?
Ritualize – Demo 2025 (Leechpit DIY)
Ah, ja, haben wir heute eigentlich schon mal Punk erwähnt, glaube nicht.
Ca.tter – Mine (dubsquare records)
Man merkt, dass die Kinder bald aus dem Haus sind.
Prunknelke – Trauerspiel Session
Alte Bauernregel: Wenn der Winter lange währt, ist es scheisse und dann muss man laute Musik machen.
Lurch – Lurch
Es gibt keine guten Bands mit Frauen, ich hab echt überall geschaut.
Tight Ships – Yarns
Sie kommen aus Vorarlberg, das ist so circa die Minimalanforderung für hier. Aber, aha, aus Lustenau. Und das zählt dann eigentlich nicht, oder.
Judith Schwarz & Manu Mayr – PRCDR (Klanggalerie)
Es ist halt schon ein bisschen sehr akademisch, das heißt, intellektuell. Aber das muss ja heutzutage auch nix mehr heißen.
von Popschl – bye (and thank you for the fish)
Der Papa darf davon nicht wissen, sonst finanziert der nur noch die nächsten fünf Semester und dann steht man plötzlich mit nichts da, außer der Wohnung und dem Tesla, weißt eh.
Tian Fu – The Great Spit: Coffee Stains Chronicles
Doch, Hip-Hop hamma heut noch nicht gehabt.
Trägheit – Alle für Alle
Irgendwann kommen alle drauf, dass es in der Opa geiler ist als draußen.
Bevor wir auseinandergehen …
Das offizielle Gruppenfoto bei den Austrian Amadeus Music Awards 2025