Die österreichische Scheisse
Hi, mein Name ist Christoph Benkeser. Du bist bei Grundrauschen gelandet, einem Newsletter zu sogenannten Subkulturen in Österreich. Hier schreibe ich einmal im Monat auf, was in der österreichischen Musik noch passiert, außerdem gibt es aktuelle Veröffentlichungen, die gut sind oder schlecht.
Heute im Newsletter: der österreichische Film, Nubiyan Twist im Porträt, »Mental Health im Club« als Reportage, dazu die begnadeten Musikanten des Landes.
Grundrauschen zum Tag
Letzthin, wieder. Ein österreichischer Film. Irgendwas mit Pillen und Geschlossener und einer sogenannten Schauspielerin, deren Zahnlücke bei Max Reinhardt promoviert hat. Der Film hat einen langen Titel und bis man ihn fehlerfrei ausgesprochen hat, ist alles immer noch nicht vorbei. Das ist schade, aber die Leute werden die losen Handlungsstränge trotzdem total gut finden. Der kluge Filmproduzent hat ja »Mental Health Drama« drüber geschrieben.
Beim Filmfestival dürfen sich das dann alle zur Eröffnung anschauen und klatschen und hinterher herumtröten, ja, das hat mich jetzt ein bisschen an David Lynch erinnert. Na ja, dann lieber den Risperidonhaushalt aufstocken. Die vegane Fingerfoodscheisse gibt es bei solchem Eröffnungsgeficke ja immer erst danach.
Der Film stopft die Altlasten des Tatorts, Burgtheaterblödsinn, Kurzwahlkomiker, FM4-Blondis, Ulrich-Seidl-Wichsvorlagen und noch viel mehr lebenszeitverschwindende Maßnahmen in ein circa fünfzehn Stunden langes Bewerbungsschreiben, adressiert an irgendeine renommierte Filmakademie, in Unterwaltersdorf.
Ich denke an Kreisky, dieses Lied. Scheisse, Schau … Und dann rinnt es mir doch jedes Mal hinein in die Arschritze. Der österreichische Film, eine absurde Selbstbeweihräucherung von Schauspielschulenoutcasts und denen, die immer schon dabei waren und sich dann denken, damit geh ich in Pension, mit dieser Scheisse. Weil das ja geht. Damit in Pension zu gehen und dann zum Abschied noch einmal in einen aufstrebenden Abspann zu scheissen.
Nur, da drüben, da drehen sie schon den nächsten. Der aufwändig gekleidete Regisseur ruft Action und kommt gar nicht hinterher mit der Produktion von 70 Millimeter gefördertem Mittelmaß, für das bröckelige Praktikanten lange Kabel schleppen und ausrollen und wieder zusammenknoten. Damit halt wieder was im siebten Bezirk gedreht wurde.
Damit sich halt wieder ein paar Freunde und Verwandte für ein paar Wochen vom AMS abmelden können.
Im Schnitt kommt dann jemand drauf, ach ja. Die Musik. Da fragen wir noch diese absolut drogenfreie Ausnahmemusikantin, die macht ja so traurige Ausnahmemusik. Die packen wir dann unter alles und hoffen – auf die Chemie oder darauf, dass ohnehin alle am Handy hängen, um die tollen Instastories der drogenfreien Ausnahmemusikantin zu schauen.
Ja, früher. Da war nicht alles besser, sagt Opa Hans. Und schaut zum hundertachtundzwanzigsten Mal diesen Haderfilm oder Dorferfilm oder Düringerfilm und lacht immer noch, an denselben Stellen, verschluckt sich fast am Kukidentgebiss, vor lauter lautem Lachen.
Und dann schau ich mir das an, dieselben österreichischen Filme wie damals und denk mir. Das war ja auch ein richtiger Scheiss, alles. Aber immerhin, die haben sich dabei nicht so ernst genommen. Sie haben nicht geglaubt, dass das auf einem ausgerollten Teppich funktionieren muss. Dass das zugeknöpften Zeitungsidioten gefallen sollte. Dass das irgendein Trendthema total gut auffasst und behandelt und was weiß ich.
Äpfel, Birnen, alles klar. Aber wenn ich im Kino sitze und nach zwei Minuten im Kreis kotzen möchte, dann nehm ich lieber den Obstkorb.
Soll ja stopfen, das Zeug.
Grundrauschen gibt’s gratis
Radio Gaga
Heute ist der dritte Dienstag im Monat, das heißt: Heute läuft leider Grundrauschen auf Radio Orange 94.0.
Nubiyan Twist im Porträt
»Mein Internet reißt gleich ab«, sagt Tom Excell und friert in seinem Garten ein. Ein paar Sekunden später sitzt der britische Produzent und Gründer von Nubiyan Twist in einer Scheune. »Ich bau gerade ein Studio auf meinem Grundstück. Im Gegensatz zu London kann ich mir hier in Sheffield nämlich noch Raum für Kreativität leisten. Ach ja, hörst du mich jetzt eigentlich?«
Excell grinst ehrlich in die Kamera. Seit drei Jahren lebt er in der ehemaligen Industriestadt, hat eine Familie gegründet – vor Kurzem das vierte Album mit Nubiyan Twist veröffentlicht. Die zehnköpfige Band gehört spätestens mit »Find Your Flame« zum Besten, was im sogenannten UK-Jazz passiert. Es ist eine Platte, die Afrobeat-Ausgelassenheit, Favela-Funk und studierten Jazz zusammenbringt. Um daraus eine »lebensverändernde Experience« zu machen, wie es Nubiyan-Sängerin Aziza Jaye nennt.
Dass diese Experience an einem Ort entsteht, an dem es praktisch immer regnet, ist kein Geheimnis. Und dennoch eine Überraschung, aber: »Das schlechte Wetter passt gut dazu, sich in einem Studio zu verstecken und nicht das Gefühl zu haben, so etwas wie einen sonnigen Tag zu verpassen«, so Tom Excell. »Gleichzeitig machen wir im Studio genau jene Musik, mit der wir im Sommer rauskommen und auf den Festivals auftreten und das Leben feiern wollen.«
Ganze Porträt gibt es bei HHV.
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Reportage über Mental Health in Clubs: »Scheiß auf die Rechnung, oder?«
Es ist kurz nach drei Uhr morgens in einem Wiener Club. Auf der Tanzfläche bewegen sich Hunderte Menschen im Rhythmus der Musik. Ihre Gesichter flackern immer wieder kurz auf. Einige lächeln mit geschlossenen Augen, andere starren ins Leere. Irgendwer brüllt: „Vorwärts!” Dann setzt der Bass wieder ein.
„Ekstase”, sagt Lena, Mitte 20, während wir draußen eine Zigarette rauchen. „Ja, Ekstaseee”, das ziehe sie jedes Wochenende in den Club, durch die Nacht. Dieses Gefühl, dass man sich „um nichts kümmern muss”, dass man „ganz lockerlassen kann, weit weg vom Alltag, von allem.” Lena hält mir ein Nasenspray hin, sagt: „Bock?”
Unter der Woche arbeitet Lena als Lehrerin. Ein Job, der sie häufig an ihre Grenzen bringe, „Der Club, Techno, die Menschen – das klingt jetzt vielleicht doof, aber das ist alles wie eine Flucht für mich, eine Art, dieses andere Leben zu vergessen, den ganzen Stress rauszutanzen.” Sie schüttelt den Kopf: „Die Rechnung dafür bekommst du spätestens am Montag. Da wird es dann zach. Aber das ist es mir wert.”
Da Freizeit, dort Arbeit
So wie Lena denken viele, die im Club feiern. Man will sich frei fühlen, während man frei hat. Sich nicht darum kümmern, was draußen ist. In der Welt, morgen, dem anderen, echten Leben. „Das ist die Diskrepanz, diese Gegenüberstellung von Flucht und Alltag”, sagt Chino. Er ist seit drei Jahren Barkeeper in einem Berliner Techno-Club, weiß: „Was für andere Freizeit ist, ist für uns Arbeit.”
Chino sagt das so: „Für uns”. Er meint damit all jene, die DJs buchen, Toiletten reinigen, Espresso Martinis mischen. Also alle, die im Club nicht frei haben, sondern arbeiten. „Viele denken, wir stehen hier, weil wir selbst feiern wollen. Dabei halten wir den Laden am Laufen, und das in einem System, das uns oft ausbrennt. Wenig Schlaf, selten ein Dankeschön, aber dafür ständig Erwartungen.”
Ganze Reportage bei der GROOVE.
Was diesen Monat rauscht
Fractura Rasa – Untitled Journey
Abzüge in der Haltung, weil da nicht andauernd eine koksende Kickdrum rumhüpft und da kommt man schnell auf schlechte Gedanken und denkt nach.
A_Phan – Circus
Ach ja, ich will gleich einen Afghanen ansprechen auf der Friedensbrücke und mich mit ihm über internationalen Handel austauschen.
Flüsterkneipe – Zwischen Kerzen und Gesprächen
Es ist alles wunderbar, bis der eine mit den langen Haaren anfängt, vom Tüwi, von früher, das war ja eine ganz andere Zeit, ja.
konterkariert – SOLO!
Ja, das ist diese Musik, die kommt von innen, die muss einfach passieren. Und dann ist sie genau so.
VA – Umwelt Vol.1
Da weiß man hinterher wenigstens, wo die Damen und Herren in den Urlaub fahren.
Masha Dabelka – Dolphins In China (fortunea)
Bitte sich festzuhalten, irgendwo, da oben, sonst fliegt man hin und das wäre schlecht.
Doda – Marbek 001
Wenn wir alle ganz oft Minimal, Minimal, Minimal sagen kommt das alles wieder, versprochen.
RinniR – Träume der Leere
Entschuldigen Sie, junger Mann, ich glaube, der Lautsprecher ist kaputt, kann das sein, ein Kabel, vielleicht.
NokNok – Fullband Setting Computer
Der Name ist nicht so toll, aber der Rest ist schon toll, einigermaßen.
Ferhëngnïs – Iridescent Melancholia of the Moonglowen Forestcaves
Heute gibt es wieder mal nur armen Ritter.
Jansky – 52 Cards Preshuffled
Ich check es nicht, aber ich checke viele Dinge nicht.
Peter Kutin – Circular Divisions Vol. 1
Das ist nicht auf Bandcamp, das ist sehr cool.
https://www.kutin.xyz/rotor-sonic-body/
TIXO – durchsichtig & klebrig
Klebeband, Klebhand, Kleibeinand.
Glass Armor – Demo
Schlecht für die Ohren, gut für den Enddarm.
chra – wondereel
So schaut es aus, am Ende der Welt, da ist es ungemütlich und man muss frieren, ohne Anorak, und wenn man es sich genau überlegt, ist das eigentlich ganz gemütlich.
https://bandcamp.com/private/T61M3IH9
Marco Michalzik & Manuel Steinhoff – Die gerade Linie ist gottlos Pt.1
Also, häh, du machst immer noch Poetryscheisse und legst da halt jetzt so ChatGPT-Beats drunter und dann glaubst du, du bist Marc-Uwe-Kling, aber wo ist das Känguru?
Ali Hossein – Lost Stop
Aha, studiert, natürlich ist das kompliziert.
Tyoma – Bipolar
Entweder Selbstdiagnose oder Selbstdiagnose.
Franui & Chor des Bayerischen Rundfunks – Mahler (nach wie vor) (col legno)
Herrlich, ein Chor, die allerehrlichste Musik, das war ja schon immer so, also.
Schaua – Werk 900 02
Ich hab das Gefühl, das ist die elektronische Musik, die man machen darf, auf einem Gameboy.
Lilac Vegetal – The Accursed Share
Hans aus Hohentauern wettet, dass es diese Band nicht in die Rotation in einem Jugendradiosender schafft – na, Paul McCartney, traust du das diesen drei jungen Herren zu?
Rer Repeter – Poison Will Be Hidden EP (Dubsquare Records)
Möglichst wenig hat man vor 30 Jahren gemacht, heute muss einer ja die Arbeit von dreien machen. Wenn das überhaupt langt.