Blasmusikschnitzelleitkultur
Hi, mein Name ist Christoph Benkeser. Du bist bei Grundrauschen gelandet, einem Newsletter zu sogenannten Subkulturen in Österreich. Hier schreibe ich einmal im Monat auf, was in der österreichischen Musik noch passiert, außerdem gibt es aktuelle Veröffentlichungen, die gut sind oder schlecht.
Heute im Newsletter: Interviews mit Edition Hawara und Cyon Flex, klingendes Österreich und Leselinks, davor aber …
Grundrauschen zum Tag
Am 29. September 2024 wählt Österreich einen neuen Nationalrat. Nach fünf Jahren, drei Kanzlern und einigen verlorenen Wetten über die Fortdauer der Kiefersperre endet der Zinnober hoffentlich beim Zahnarzt. Wer hier aufschreckt und sich noch zwei Kilo Briefwahl zuschicken mag, keine Eile: Zuvor streiten noch viele Elefanten. Man slalomiert weiterhin durch Sprüchetaferl. Und redet sicher noch ein bisserl über Möbelwerbungen.
Dass in der vergangenen Legislaturperiode auch Politik passierte, kann man da wie dort ausführlich vergessen. Oder nachlesen, weil: Vielleicht findet man im angewandten Selbststudium jene sogenannte Kultur, die nicht zwingend mit Staatsschutzschnitzeln oder Blasmusikblasphemie einhergeht, sich aber in sommerlichen Seegesprächen allzu rar gemacht hat.
»Dürfte nicht sein«, sagt Eva-Maria Bauer, Präsidentin des Österreichischen Musikrats (ÖMR). Schließlich habe man auf kulturpolitischer Ebene »einige Dinge vorwärtsgebracht.« Dazu zählen: mehr Geld für Österreichs Musik, Fair Pay als Strategie und einige Gesetze, die »zwar unsexy ausschauen, aber nachhaltig wirken«, so Bauer.
Zuletzt hat das ÖMR einen »Maßnahmenkatalog« für die kommende Bundesregierung veröffentlicht. Darin findet sich von einem »Staatsziel Kultur« bis hin zu sozialen Absicherung für freie Kulturschaffende ein detaillierter Wunschzettel für das vierte Rei… äh, die nächste Legislaturperiode.
Was davon war und was möglich sein wird, hat mir Bauer erklärt – wer hier also die sozialverträgliche Abfahrt nehmen will, da geht’s raus.
Der bemitleidenswerte Rest bleibt oder geht oder denkt darüber nach, was Österreich abginge, würde nicht die Hälfte des Kulturbudgets in kontextualisierte Kinderpornografie oder koksende Kinderpornografen versenkt werden.
Nachdenken ist aber ganz schön anstrengend, also schreibt man lieber einen OFFENEN BRIEF (wieso eigentlich kein Fax?), weil: Der Kunst ihre Freiheit und so weiter. Wäre ja einigermaßen schade, würde man den zuarbeitenden Pöbel nicht auch zukünftig sechsstellig anbrüllen oder ausbluten können.
Aber gut, scheiße Schauspieler, ist ja nur das Theater. Und wenn sich wieder mal jemand auf der Bundesbühne auszieht, ist das bestimmt ein »politischer Motor«, jedenfalls Futter fürs Standardforum und wenn gar nix mehr hilft, hängt man halt das Stipendium an die Wand oder stellt es in den Raum – RSVP, der Künstler ist anwesend.
Dagegen ist die Musik öfter ABWESEND, so ist das als »heimlicher Riese« oder als »unsichtbarer Riese«, jedenfalls als Riese, schaut’s bitte alle her! Einige tröten da zeitgenießerisch für freie Freunde, andere politisieren auf der Club-2-Toilette. Und wer noch nicht komplett durch ist, holt sich in chronischer Erschöpfung den SKEtausender, um dann wieder mal ein Album zu machen, für das die Mama beim Tschibo extra einen Kassettenrekorder kaufen muss.
Dafür nutzt man dann auch die eigene Plattform, das heißt, man radikalisiert sich in der Timeline, weil: Gefühlte Unterdrückung, das kennt die darbende Künstlerseele, da muss man es mit der Geschichte jetzt nicht so genau nehmen. Außerdem hat man doch gerade Glitzer übers Palituch gekippt, haben das die Leute in der letzten Story gar nicht mitbekommen?
Naja, egal, es gibt mehr Kohle für Kultur – zuletzt 670 Millionen Euro, Applaus! Davon nehmen sich alle, die sich immer schon reichlich genommen haben, noch ein bisserl mehr. Werden immer blader. Und weil eh alle bedingungslose ihren Körper lieben, beschwert sich auch niemand, denn: Der Dicke ist jetzt mehrgewichtig. Der Dicke ist jetzt einer von uns.
Ich bin mir sicher, wir waren hier schon mal. Aber der moralische Künstlerkompass befindet: links ist rechts und dick ist dünn und wenn oben irgendwann unten ist, ziehst du dir auch noch unser T-Shirt an, da steht Poststrukturalismus drauf – musst eh nicht wissen, was das heißt. Aber wär halt ziemlich nice!
Grundrauschen gibt’s gratis
Radio Gaga
Heute ist der dritte Dienstag im Monat, das heißt: Heute läuft wieder Grundrauschen auf Radio Orange 94.0.
Edition Hawara im Interview
EDITION HAWARA ist ein Label für österreichische Musik aus den 1970ern und 80ern. Seit 2018 erscheinen dort Platten, die man irgendwann auf einem Flohmarkt vergessen wollte: Disco, Funk, die lokalkolorierte Espresso-Stimmung zwischen Wurlitzerwünschen und einem übergehenden Marlboroaschenbecher. Manche nennen das Nische. Andere Underground. Ein bisschen Wahnsinn gehört auch dazu.
Mit einem anderen Hype ist Edition Hawara 2018 gestartet: dem Reissue des Albums der Kremser Band Zenit von 1986.
Jonny Nemetz: Die Labels hätten zwar insgesamt viel mehr für die Neuveröffentlichung bezahlt, dennoch haben sich Zenit für uns entschieden. Das haben sie auch nicht bereut. Sie fühlen sich heute als Anstoß für die Gründung von Edition Hawara – und das ist auch der Fall.
Edition Hawara ist also … passiert?
Jonny Nemetz: Schon. Ich kannte mich ja kaum mit österreichischer Musik aus. Zu diesem Zeitpunkt bin ich gerade in japanische Musik gekippt. Wir haben aber angefangen zu recherchieren mit der Idee, einige Releases zu machen. Jetzt ist es halt ein bisserl mehr geworden – auch weil es sonst kein Label gibt, das diese österreichische Musik aus den 70ern herausbringt.
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Cyon Flex im Interview
CYON FLEX ist eine 37-jährige Rapperin aus Bristol. Seit einigen Jahren lebt sie in Wien, demnächst erscheint ihr drittes Album. „Into The Night” (6. September 2024) ist Sound, Comic und ein Anfang unter neuem Namen.
Da scheint einiges zu sein, worüber du dich aufregen kannst?
Cyon Flex: Ich habe gelernt, mein Temperament zu kontrollieren. Aber es ist crazy, eine Frau und Schwarz in Wien zu sein. Deshalb verteidige ich mich selbst. Dadurch habe ich eine härtere Haut bekommen. Und ich bin zu der Frau geworden, die ich heute bin.
Das ist …
Cyon Flex: Schrecklich, ja. Und es ist crazy, eine Frau und Schwarz in Wien zu sein. Deshalb verteidige ich mich selbst. Dadurch habe ich eine härtere Haut bekommen. Und ich bin zu der Frau geworden, die ich heute bin.
Welche Frau ist das?
Cyon Flex: Sagen wir so: Die Menschen in Österreich haben eine Vorstellung davon, wie sich Männer und Frauen kleiden sollten. Ich habe diese Vorstellungen nicht, weil ich in England aufgewachsen bin. Wir haben dort einfach eine größere Modekultur. Man hat also mehr Möglichkeiten, seine Identität auszudrücken, während man …
In Österreich …
Cyon Flex: Eine Menge Hass dafür abkriegt. Gut, ich bin sowieso mit Hass konfrontiert. Wenn ich aber mit meinen schwulen Freunden ausgehe, bekommen sie mehr Hass ab als ich. Es ist fast so, dass ich diese Idioten ansprechen muss, um den Fokus auf mich zu lenken: Hey, schaut mich mal an, ich bin Afrikanerin!
»Sehr geehrter Herr Berserker …
Wer ZWIRN kennt - der weiß, dass die drei Jungs keine Party anbrennen lassen. Dafür sprechen viele ihrer Songs wie der Erfolgshit Hoiwa7i, Lecko Mio oder die Alpenversion vom Hit das Mädchen auf dem Pferd.« (Promo-Mail von Zwirn)
Was diesen Monat rauscht
AKIDA – Trouble Bubble
Für den Rocker fehlt mir die Harley, aber vielleicht besorg ich mir mal einen von diesen lustigen, kleinen Eierschalen, mit denen Jeansjackenbärte ihren Haaransatz bekleiden. Dann schauen wir weiter.
Ettore Biagi – kood
Klarinetten sind wie Clowns, einigermaßen gruselig, wenn man darüber nachdenkt mit verschränkten Händen hinter dem Rücken durch vereinsamte Kunsthallen schreitend.
x. – less- soft.
Wer extra aus China herfährt und dann nicht nach Wien, sondern natürlich nach Graz geht wegen DER AUSBILDUNG, der arbeitet nicht am nächsten Kuschelrocksampler.
Sicaria – Demo 2024
Wut, schreien, zur Zib wieder daheim.
hatsnriver – Good For Nothing
Die Ärzte haben 368 gute Lieder geschrieben, da fehlen hier noch einige, so circa 368.
Natascha Gangl & Rdeča Raketa – Wendy Pferd Tod Mexico (Mamka)
Da will jemand auf jeden Fall einen Preis bekommen im Kulturradio und die Jury hört sicher eine INTENSIVE AUSEINANDERSETZUNG mit dem KLANG oder einen UNVERWECHSELBAREN Sound.
BYDL – Untitled XVII & XVIII
Zu ihrer Linken hören Sie eine intensive Auseinandersetzung mit dem Klang oder wenn Sie wollen: einen unverwechselbaren Sound.
Grahms – vielleicht waamts uns es heaz
Bald schunkeln wieder drei Millionen Hochdeutschhipster durch die Wienerweinwanderwege und man muss wieder Lieder schreiben, die sie nicht verstehen.
Signals from Sirius – Voices from Lago di Garda
Wann kommst du vorbei, ich zeig dir meine Urlaubsfotos.
IZC – Sand (Dubsquare Records)
Früher gab es keine Ryanairlotterielose, was hat man da eigentlich gemacht auf dem Weg zu irgendeinem Londoner Flughafen, der so weit draußen ist, dass man gleich daheim bleiben kann.
Wolf in der Au – state of mind
Die Kassette rauscht, das muss so sein, mein Kind. Aber Großvater, das ist gar keine Kassette!
Kruder & Dorfmeister – The K&D Sessions TM (25th Anniversary Boxset Edition)
Schatz, hast du das Viagra gesehen? Nein, aber ich habe diese 6LP-Box, sie kommt in Hochglanzoptik und mit UV-Klarlackierung, Hüllen und Etiketten, die mit metallischem Goldpantone bedruckt sind, und einem hochauflösenden A2-Poster sowie einem 32-seitigen Booklet mit originalen und bisher ungesehenen Fotos aus der Zeit sowie ausführlichen Linernotes von Max Dax, Robert Menasse und Werner Geier.
Nahtrunar – Hrima
Am Sonntag kommen die Schwiegereltern, ich kümmer mich um die Musik.
The Black Page Orchestra – Black Page Orchestra
Nein, ich mach das schon.
Florian Jaspers – All Our Flaws
Wenn man aus Versehen falsch abbiegt, ist man schnell im Burgenland und dann schreibt man ein Lied und lässt sich die Haare lange wachsen, weil das ist Amerika.
Bevor wir auseinandergehen
100 Leute haben wir gefragt …
Dir gefällt Grundrauschen? Rausch halt mit.