Das Problem ist die Szene
Hi, mein Name ist Christoph Benkeser. Du bist bei Grundrauschen gelandet, einem Newsletter zu sogenannten Subkulturen in Österreich. Hier schreibe ich einmal im Monat auf, was in der österreichischen Musik noch passiert, außerdem gibt es aktuelle Veröffentlichungen, die gut sind oder schlecht.
Heute im Newsletter: Fordert keine Räume, fordert euch selbst. Interviews mit Marta und A_Phan. Außerdem: Neues und Musik.
Grundrauschen zum Tag
Alte Krimiweisheit: Wenn Clubs sterben, sind sie tot. Dafür darf man gegenwärtig rauszoomen, Deutschland, wieder reinzoomen, Berlin. Dort kratzt gerade wieder eine, äh, »Techno-Institution« nach der anderen ab und Berufsboomer fragen sich voll Sorge: »Ist die Party bald vorbei?«
Zentrieren, Wien: Hier ist man gerade sehr begeistert in der sogenannten Szene. Eine »Konferenz für Clubkultur« passiert. Drei Tage will man reden, zuhören, noch mehr reden, feiern. Und ja, auch »schmerzhafte Selbstkritik« üben, wie Sandro Nicolussi, einer der Mitkuratoren von Vienna After Dark, zuletzt meinte.
Das ist ein stolzes Vorhaben und vielleicht sogar ehrlich, denn: Es ist ja nicht alles gut, nur weil jetzt bunte Armringe für Licht im Dunkeln sorgen. Die Nach-Corona-Euphorie hat man längst verkifft. Manche sind älter geworden. Und wer nach Eintritt und Verpflegung noch Ressourcen für den Comedown hat, heult werktags beim Psychiater rum.
Aber, wie gesagt, eine KONFERENZ in Wien: Die Programmplaner:innen haben gerade ihr Programm vorgestellt. Und auch ein bisschen über die SZENE nachgedacht. Die Moderatorin, die das PANEL moderiert, findet das »total toll« – wohl weil hier erwachsene Menschen tolle Wörter wie Novellierung oder Novelle oder Gesetzesänderung verwenden und daraus zusammenhängende Sätze artikulieren.
Super, sagt die eine. Die RÄUME fehlen, der andere. Und alle nicken. Ja, Räume, das heißt: Clubs, die Keimzellen seien für sozialen Wandel. Vielleicht auch für den Stoffwechsel. Jedenfalls für Konsum, ob LEGAL oder NICHT. Denn um die Kohle, um die geht es immer. Nur wo die landet, damit sind natürlich nicht alle einverstanden.
Deshalb solle DIE POLITIK endlich mal hinhören und UNS Geld geben. »Richtig gut«, sagt die Moderatorin und man ahnt, jetzt wird es brisant. Man habe da nämlich was gehört: Inflation, Corona, die Energiepreise und so weiter – das tut auch den Clubs weh, deshalb verlangen die solche Fantasiepreise an der TÜR oder sperren zu, bevor sie Support suchen, wo es keinen gibt.
Auch wenn man sich mittlerweile nicht mehr so sicher sein kann: Wien ist nicht Berlin. Keine Stadt, die ihre Identität auf Billigflugidioten und Berghainschlange aufgebaut hat. Sondern eine, wo Pferde durch die Gassen klackern und man einmal täglich ein Schweineschnitzel zu verzehren hat, nachdem man stieglfahnenschwankend zu I AM FROM AUSTRIA salutiert.
Ich mein, ist Spaß. Hoffentlich ist davon niemand DEEPLY getriggert. Aber ey, wir verstehen uns doch. Wo, wenn nicht in der CLUBSZENE, findet man sonst Leute, die keine politische Meinung haben, weil sie eine politische Meinung sind. Und die dann auch schön in die Clubs reintragen, um dort einen Positionierungszwang zu erzwingen, der dazu führt, dass alle, die nicht deiner Meinung sind, GEWALT ausüben.
Klar, dass man da nach der nächsten Bahn Keta einen ganz persönlichen Befreiungskampf auf dem Dancefloor losbricht, weil: Wenn zur Peaktime die Synapsen brutzeln und alle fest die Augen schließen, um sich in sendungsbewusster Solidarität die Hände zu reichen, freuen sich vor allem die armen Kinder in Gaza.
Wer zusammenzählt, merkt: Mit einem KOLLEKTIVEN Ruf nach RÄUMEN ist es nicht getan, denn, sorry: Das Problem ist DIE SZENE, die sie fordert.
Da kann man jetzt schief aus dem Netzhemd schielen. Die selbstbezogene Befindlichkeitsscheiße von persönlichkeitsgestörten Lifestylelinken ist das Problem. Man könnte nämlich Räume haben, in denen alle Menschen eine gute Zeit haben. Setzt halt voraus, dass eben diese Menschen mehrere Meinungen ertragen und den Raum verstehen.
Man kann gerne »sichere« Räume und »leistbare« und solche »mit einem guten Soundsystem« fordern – und sollte das auch tun. Man kann außerdem seine persönliche Meinung haben und dafür eintreten und diskutieren und von mir aus auch kämpfen. Man darf aber GLEICHZEITIG voraussetzen, dass reflektierte, progressive, linksdenkende Menschen ihre persönliche Überzeugung an den richtigen Orten und zur richtigen Zeit im richtigen SETTING ausleben.
Der Club ist nicht der richtige Ort dafür. Tolle Festivals und Veranstalter und Kuratorinnen erzählen uns zwar das Gegenteil, indem sie den Dancefloor politisieren und damit Buzzwordbingo für die nächste Förderrunde spielen. Ich denke aber: Man könnte eine gute Zeit frei von Diskriminierung in einem Club haben, ohne ständig dem diffusen Drang zu folgen, sich POSITIONIEREN zu müssen, ein STATEMENT zu veröffentlichen.
Und sich in bester linker Manier wieder mal selbst auseinanderzunehmen.
Grundrauschen gibt’s gratis
Radio Gaga
Heute ist der dritte Dienstag im Monat, das heißt: Heute läuft wieder Grundrauschen auf Radio Orange 94.0.
Marta im Interview
Neun Jahre, sechs Monate und zwei Tage. So lange waren MARTA, das Grazer Urtrumm von JULIA HAGER, PAUL PLUT und GÜNTHER PAULITSCH, weg. Das weiß man genau, es steht schließlich auf Facebook. Und dort steht auch: Es kommt ein neues Album („shipwrecks” am 18. Oktober 2024). Dazu gibt es Konzerte in Wien und Graz und Linz oder Saalfelden. Sowie bereits: schöne Fotos mit Taucherbrille in der Badewanne.
Wisst ihr, dass man vor dem Tauchen in die Brille spuckt?
Paul Plut: Wirklich?
Julia Hager: Damit die Brille nicht anläuft, oder? Wir haben aber ausnahmsweise nicht in die Brille gespuckt, sondern nur unsere Füße in die Badewanne gesteckt.
Gesicherte Gewässer statt Durchblick?
Julia Hager: Na, das Album heißt ja nicht umsonst „shipwrecks” – das große, weite Meer haben wir am Ende trotzdem nicht darin gesehen. Deshalb tut es auch die Hausbadewanne.
Paul Plut: Wir haben so eine ähnliche daheim, so eine kleine, für die Kinder … Wie nennt man das?
Julia Hager: Klappbad! Wir verwenden es jedenfalls zum Hundewaschen.
Paul Plut: Früher hat da die ganze Familie drinnen gebadet. Meine Oma hat immer gesagt: Durch das Badewannenwasser, da müssen mehrere durch. Sie hat sich übrigens am Schluss reingesetzt.
Das ganze Interview ist bei der mica.
Weiterlesen, weiterdenken
Alfred Pranzl hat mit einem Pfiffikus geplaudert.
Mio Obernosterer hat sich viele Horrorfilme angeschaut
Ania Gleich hat mit Ines Wurst Pfefferminztee getrunken
Vielleicht verabschieden wir uns noch nicht von den Zusehern auf 3Sat
Nochmal, in Wien findet bald eine Konferenz für Clubkultur statt
14 Euro in der Stunde wirst du Ansprechperson im Flucc
A_Phan im Interview
Geschlafen hat er heute wenig. Dafür schon eine Wurzelbehandlung hinter sich. MANUEL CYRILL BACHINGER hält eine Tasse in die Kamera: Kaffee, schwarz, in medias res: Der in Wien lebende Künstler (Angewandte und eine schöne Homepage) macht nämlich als A_Phan auch Musik. Demnächst erscheint „Wishlist” auf A.T.C. Records – vier eigene Tracks, vier weitere von Electric Indigo oder Kobermann. Man darf also erahnen, wohin der ehemalige Grelle-Forelle-Mitarbeiter und Meat-Market-Master damit hinwill. Oder ganz klassisch darüber plaudern.
Du machst schon lange Musik, aber nur selten öffentlich. Fangen wir also ganz am Anfang an: Wieso Techno?
A_Phan: Ich hab mir schon früh einen breiten musikalischen Background angeeignet. Zu Techno bin ich aber nicht gekommen, weil mich die Musik von Anfang an begeistert hat. Zu Techno bin ich gekommen, weil es eine Möglichkeit war, sich am und durch den Computer auszudrücken. Elektronische Musik hat mich all meine Interessen verbinden lassen. Dadurch bin irgendwann dort gelandet, wo es um die Grundprinzipien der elektronischen Musik geht.
Grundprinzipien?
A_Phan: Techno hat eine inhärente Logik. Es geht um Energie. Also tatsächlich Energie, weil: Im Ursprung fließt Strom. Man gestaltet ihn. Das ist ein Zitat von Caterina Barbieri, dem ich mich einfach mal anschließe.
Machen wir noch einen Schritt zurück: Was war davor?
A_Phan: Mit 14 hab ich in einer Punkband Gitarre gespielt. Via Kassettenrekorder haben wir in meinem Kinderzimmer Lärm aufgenommen. Das war … Na ja, ich bin ein Kind der Vorstadt, bin in Perchtoldsdorf aufgewachsen. Da wird man wütend, wenn man anfängt, seinen Platz in der Welt zu suchen. Gleichzeitig gab es dort viel Raum. Und Zeit. Beides musste ich irgendwie füllen.
Der Dorfpunk.
A_Phan: Ich war aber nicht allein. In de Zeit haben sich tiefgreifende, bis heute anhaltende Beziehungen ergeben. Ich muss aber dazu sagen: Vor Niederösterreich habe ich in Feldkirch in Vorarlberg gewohnt. Dort war es ganz anders. Die Berge haben den Horizont eingeengt. In Perchtoldsdorf war alles offen. Das hat mir Probleme bereitet. Erst als ich ins Borg nach Wien gewechselt bin, habe ich gemerkt: Ich muss nicht mehr gegen Widerstände in meiner Umgebung ankämpfen.
Das ganze Interview ist bei der mica.
»Sehr geehrter Herr Berserker …
Es knistert im Feuerkorb!« (Promo-Mail zu Unlaengst – Scho Oag)
Was diesen Monat rauscht
im BuyMusic-Überblick und hier:
Ruin Rising – Kingdom of Misery
Wenn Metal nach Herr-der-Ringe-ist-so-ein-cooler-Film klingt, ist das mal was anderes und wenn das alles auch noch aus VORADLBERG kommt, sag ich: Bitte ins Sohm gehen bei der nächsten Gelegenheit und das mal AUSCHECKEN.
Kopf an Kopf ab – Kschischgewehr (Heiße Luft)
Sie erzählen eine gute Geschichte, dann erzählen sie noch eine, am Ende sind es elf gute Geschichten. Wieso spielen sie das eigentlich nicht mal am Sonntag auf Öeins.
Winterwind – Der letzte Blick
Wie gehen noch mal die Akkorde fürs Mittelalter, ach ja.
Bondage Toes – Demo
Punk ist es erst, wenn Tobi die Gitarre trägt und Leo den Bass und der Sänger David heißt.
Tian Fu & Chonglian Yu – Who’s Game? (Small Forms)
Irgendwas mit Chatgpt und China und Kunst und ich hör ja eh schon auf.
Homonym – 10/01
Echt total schön, wie gut du zuhören kannst, wärst du nicht schwul, wärst du mein Freund.
A.I.N. – Live in Stilluptal
Damals, also früher, weißt äh, die NINETIES, da hat man sowas noch machen können, aber heut scheißt sich ja jeder an, vor was, du da bin ich überfragt, wir sind ja eher so von der ALTEN Schule.
Mary Broadcast – Ranch Songs
Ich hab den Roman nicht gelesen, aber ich glaub, da quietscht was.
Verhinderer / Mysterivm Xarxes
Den Hörsturz musst du dir nicht erst mit vielen lauten Fünfeurogigs verdienen, den kannst du auch so haben.
Schlingen – Schlingen
Schurkenpunk und Totenrock. Sagen die. Aber vielleicht workshopen wir weiter, dann fällt uns sicher noch was ein.
Drug Searching Dogs – Zwinger (Interstellar Records)
Live, sofort! Auf Platte, ich glaub nicht.
Robert Schwarz – Stridulations 1-14 (Superpang)
Man muss sich das so vorstellen, da kommt jemand auf die Bühne, klappt den Laptop auf, vorne hat man irgendeinen tollen Sticker über den Apple drübergeklebt und dann geht das so circa eine Stunde so dahin, zwei drei Leute schließen die Augen, der Rest will früher gehen. Am Ende klatschen alle, voll super war das!
Gebrochene Herzen / Gebrochene Zeiten (Horizont)
Jeder kann Musik machen, aber nicht jeder muss Musik machen. Das vergisst man manchmal, deshalb nennt man es nicht Musik, sondern SOUND und dann ist das ja eine ganze andere Sache.
Liebe Wartet – Liebe wartet (Nostalgic Dystopian Records)
Ich hatte mal einen Freund, der hat sich Platten nur gekauft, weil er das Knistern der Auslaufrille aufnehmen wollte, der Rest hat ihn gar nicht interessiert, nur das Knistern der letzten Rille. Jetzt weiß ich, wieso.
Nino Sebelic – yodasphere (Electropia Records)
Ja, was kommt eigentlich nach Techno, vielleicht wieder Electro, aber das geht einem dann auch furchtbar auf die Nerven nach, sagen wir, ein paar Minuten.
Dorabira MC – Lustnaua Senf (Montfort Records)
I glob es hoaßt Luschnou, abr hau a Tuuba häar und miar vastohn ûs wiaddr.
Portae Obscuritas – Khaos
Ich hab in Latein nicht aufgepasst, ich war ja bei Französisch, aber das Schlagzeug ist sehr gut, hoffen wir mal das Beste.
Philip Law – Reminder that Life is Beautiful
Stell dir vor, dein Kind hört das, was will man da machen – weiches Herz, harte Hand.
evo-lation five (evo-natura)
Kauf meine Kassette, wir pflanzen einen Baum. Dazu können wir dann unseren Krach hören.
Chants de Rats – L’Ivresse
Ich meine, wir können dann unseren Krach hören.
Bevor wir auseinandergehen …
Dir gefällt Grundrauschen? Rausch halt mit.