Alles andere am Arsch
Hi, mein Name ist Christoph Benkeser. Du bist bei Grundrauschen gelandet, einem Newsletter zur Radiosendung auf Orange 94.0. Hier bespreche ich einmal im Monat neues aus der österreichischen Musikszene, verlinke zu aktuelle Veröffentlichungen und lass es rauschen.
Heute im Newsletter: Wischiwaschi zum Tag, Interviews mit Sharktank, Noayama und Jeanne D’Arte. Außerdem: die Reading-List für April + neue Veröffentlichungen aus dem Ö-Underground im Überblick. Aber davor …
Grundrauschen zum Tag
Zwei Stunden und zwölf Minuten. So lange verbrachte ich im letzten Monat in Zoom-Calls – wartend, allein, ohne, dass mich meine Gegenüber aus der gekachelten Solipsismus-Matrix erlöst hätten. Dazu saß ich drei Mal umsonst im Café, kippte mir den zweiten Espresso rein und hoffte noch immer, dass mein Termin auftauchen würde. Vergeblich, vergebens. Niemand kam. Ich blieb ohne Gespräch und damit als freier Musikjournalist ohne Einnahme.
Vielleicht hatte sich das Universum im vergangenen Monat gegen mich gerichtet, wahrscheinlich war es einfach Pech. Trotzdem: So gebündelt kam das bisher nicht vor. Von neun Terminen klappten drei. Sechs Mal saß ich rum und wartete. Wenn aus der akademischen Fucking-Stunde eine zweite wird, weiß ich: Das wird nix mehr. Ich schütt mir zwar gern in Zweisamkeit verwässerten Filterkaffee ins Gesicht, aber selten morgens um halb acht, nur um eine Leitung ans andere Ende der Welt zu schalten, die ohnehin nie wahrgenommen wird.
Alle, die nach zwei Absätzen noch nicht weggeklickt haben, fragen sich wahrscheinlich: Was geht mich das rumheulende Rauschen vom Berserker an? Ich sag: na ja. Immerhin bin ich mit dem Glauben aufgewachsen, dass man sich an ausgemachte Termine hält oder sie zumindest absagt. Heute brauchen manche Menschen fünf Reminder-E-Mails, um ihren Shit zusammenzubekommen. Und selbst dann – zwischen Mails von Management, der Promo-Agentur oder einfach nur einem direkten Kontakt – kann ich drei Rosenkränze runterrattern und hoffen, dass die Person zum ausgemachten Zeitpunkt erscheint.
Nennt mich einen naiven Nichtversteher, aber: Wann haben die Leute aufgehört, sich an basic Abmachungen zu halten? Geben wir echt keinen Fick mehr auf Termine? Oder hängt es einfach damit zusammen, dass wir lieber belanglosen Bullshit-Content produzieren, als uns für ein, zwei Stunden zur produktiven Plauderei zu treffen?
»Nichts wird leichter, aber alles vielleichter«, schreibt mir ein Freund, dem ich davon erzähle. Er hat recht. Alles ist vielleichter geworden. Die wenigsten legen sich fest – sei es im Job, der Beziehung oder für die nächste Verabredung. Wischiwaschi ist kein neues Phänomen. Bereits 2013 rief man die »Generation Vielleichtsager« aus. Vom Regionalblatt bis zur bundesweiten Wochenzeitung finden sich seither zahlreiche Artikel, die uns erklären wollen, warum wir die ganze Zeit auf die nächstbessere Option warten.
Ich will darauf nicht weiter eingehen, weil wir alle wissen, was gemeint ist. Wir haben es oft genug selbst getan. An Veranstaltungen ist man »interessiert«, die Zusage kommt spät – oder nie. So lässt man sich die unverbindliche Hintertür offen, weil: Könnte ja noch was dazwischenkommen, das gerade besser passt.
Die Sache ist: Ein Interview ist keine Party. Ein ausgemachter Termin keine offene Einladung. Klar, man kann schon mal die Zeit »verchecken«, ausnahmsweise die »Steuer« machen oder sich »sorry, sorry, sorry« eine andere Entschuldigung einfallen lassen. Was davon überbleibt, ist trotzdem: Du hast keinen Bock und verschwendest meine Zeit, indem du deine Position ausnutzt, weil du nicht auf mich angewiesen bist.
Ja, ich schreib diese Zeilen aus Enttäuschung, das ist selten eine gute Idee. Ja, ich weiß, dass sie nichts verändern werden, was es noch schlimmer macht. Und ja, ich hör mich dadurch an wie ein zynischer Trottel, der ich nicht sein will. Maybe, just maybe könnten wir uns dennoch darauf einigen, einfach mal hinzugehen, wenn man zugesagt hat. Ich will nämlich keine Sekunde länger in mein Spiegelbild starren – oder das Gschloder aus dem Sperl saufen!
Friendly Reminder
Morgen findet im rhiz wieder unser Salon skug statt – mit Konzerten von Iva Olo und Jeanne D’Arte. Außerdem gründen wir mit Toxic Temple eine Kirche aus Plastik, bevor sie beim Donaufestival zur Heiligen Messe rufen.
Sharktank im Interview
Der Pop-Dreier Sharktank veröffentlicht mit »Acting Funny« (Humming) sein zweites Album. Nach dem Debüt-Durchbruch – die Band krachte 2021 aus dem Studio in die Charts – hören mittlerweile jeden Monat 450.000 Leute auf Spotify zu. Marco Kleebauer, Katrin Paucz und Mile haben damit nicht nur die FM4-Formel, sondern die ganze Indie-Gleichung geknackt. Man klingt wie Bilderbuch ohne Männlichkeitskrise. Man rappt, weil man es kann. Und schreibt Songs, für die Formatradios erfunden wurden.
Katrin Paucz: Vor Sharktank hab ich nie öffentlich gesungen. Da und dort Backings, aber sonst … Manchmal kommt deswegen schon mein Imposter-Syndrom durch.
Mile: Deshalb sag ich dir, wenn ich’s gut find!
Katrin Paucz: Ich denk mir trotzdem: Wenn ich den nächsten Song einsinge, kommen sie drauf, dass ich das eigentlich gar nicht kann!
Sich ein bisserl selbst zu hinterfragen, kann auch gut sein, nicht?
Katrin Paucz: Kann bei mir aber schnell destruktiv werden. Wenn ich mir andauernd einrede, dass ich es gar nicht kann, beschäftige ich mich nur noch mit mir. Dadurch vernachlässige ich alles andere – ich laufe mit einem Tunnelblick herum und check nicht, dass sonst auch was passiert.
Was kann man dagegen tun?
Katrin Paucz: Ich will nicht sagen, dass man andauernd Selbstbestätigung braucht, aber sie hilft.
Das vollständige Interview ist bei mica erschienen.
Grundrauschen aus der Vergangenheit
»In Wien war sie Lorli, in Amerika Eleonor, für ihren Mann hieß sie Ellen und in italienischen Freundeskreisen Eleonora: Eleonore Hockabout hat viele Namen. Das Leben der Graffiti-Enthusiastin ist dabei genauso vielschichtig wie unbemerkt. Und das, obwohl Rock’n’Roll der in die USA emigrierten Zwettlerin auf die Haut geschrieben ist.«
Ania Gleich in skug, am 16.4.2023
Weiterlesen, weiterdenken
Im 15. Bezirk haben die Westbahnstudios – ein neuer, offener Raum für Musikpräsentation – eröffnet
Didi Neidhart stellt die Disco-String-Theorie auf
Dominik Uhl und Michael Marlovics plaudern mit Sebastian Götzendorfer über 20 Jahre Noise Appe
Sounds Queer? aus Wien opencallt drei Artist-Residencys für queere Menschen
Lou Asril will im Gespräch mit Ania Gleich eine Pop-Diva sein
Österreich hat ein neues Mediengesetz und das sollte uns alle angehen, schreibt Frank Jödicke
Chris Hessle stellt das Jahresprogramm des Grazer Forum Stadtpark vor
Noayama im Interview
Noah Berger ist ein 21-jähriger Producer-Künstler aus Deutschlands Süden. Fürs Studium lebt er in Linz. Auf Affine Records veröffentlicht er sein Debüt. »Consume Land Flea Market« treibt Kastldenker:innen den Sweat auf die Stirn. Einordnen lassen sich die Produktionen von NOAYAMA nur mit Namedropping. Wir haben ausführlich geplaudert.
Die Möglichkeiten sind heute ganz anders, klar. Früher war es technisch und finanziell aufwendig, so zu klingen wie Aphex Twin oder Autechre. Deshalb hat dieser Glitch-Sound geflasht. Heute kennt man diese Klänge, sie sind easy zu produzieren. Außerdem wollt ich mich von meinem Dad im positiven Sinne abgrenzen.
Viel ärger als dein Vater hätte man ohnehin nicht klingen können.
Alles andere wäre weit weg von Musik, ja. Das Ding ist: Ich hab den experimentellen Stuff von klein auf mitbekommen. Für mich war dieser Sound …
Normal?
Genau. Wenn ich Autechre gehört hab, sind meine Freunde ausgestiegen. Im Gegensatz dazu war Pop etwas, das ich kaum kannte oder langweilig fand.
Weil du mit der weirden Musik aufgezogen wurdest?
Ja, damit in einer kleinen Stadt wie Rosenheim aufzuwachsen, war ein Struggle. Dort gibt’s keine Subkultur – außer Funkstörung und einer Punk-Band, die der Bruder vom Bassisten von Franz Ferdinand gemacht hat. Vielleicht war es aber auch ganz nice, allein auf meiner kleinen Musik-Insel unterwegs zu sein.
Wie meinst du das?
Du konntest in Rosenheim nicht fortgehen, das war pure Folter! Als ich 15, 16 war, lief überall dieser Skrillex-Sound, wie hieß das noch … Dubstep!
Das vollständige Interview ist bei mica erschienen
Was diesen Monat rauscht
Luhas / Halina Rahdjian – »bite the bullet and let it take you wherever« (Next Year’s Snow)
Freude ist, wenn der BYDL dir ein neues Album rüberdingst mit lustigen Leuten aus Wien, die Rumdingsen und du dir denkst, boa, super, das hab ich noch nicht gekannt, das ist ein Wahnsinn, das dingst richtig rein!
Summer Haze '99 – »Inevitable« (Erech Leleth)
Neues Projekt von Erech Leleth, der wahrscheinlich wieder einen Song geschrieben hat, bevor ich diesen Satz zu seinem jämmerlichen Ende bringe. Summer Haze '99 zählt jedenfalls mit dem Debüt schon zu meinen Lieblingsoutputs des deutschen Wieners, weil: Black Metal, der reinzimmert, als hätte Sadness die Country-Gitarre entdeckt, um in Kornfeldern zu viel Cocteau Twins auf die Earpods zu streamen.
Kreuzschmerzen – »Kreuzschmerzen« (s/r)
Wenn die letzten Punks den Nietengürtel gegen die Kunstklasse tauschen.
RYDO – »Unforgettable (feat. Diana Lueger)« (s/r)
Hinter RYDO steckt das Kristallkugelkommando von Lucy Dreams. Weil David Reiterer weiß, wie man gscheide Popsongs schreibt, funktioniert auch der Ausflug in den Club. Außerdem hat er mit Zweitfrau Diana Lueger eine Person auf den Dancefloor geschickt, deren Stimme wie gemacht dafür ist, über durchpustende Subwoofer-Beats zu atmen.
Jschanghal – » diplopia« (s/r)
Als hätte Ben Frost drei Akkorde von Boris durch ein Fuzz-Pedal geschleift. Mehr Distinktionsgewinn rieselt nur noch aus der Richterklasse.
Marie Vermont – »Dublin Tape« (s/r)
Möglicherweise mischen Guinness-betankte Ufos mit, wahrscheinlich hüpfen Leprechauns freudig über die Grafton Street. Jedenfalls war Marie Vermont in Dublin und hat das Mikro eingeschalten.
RIO – »baby, zieh die samthandschuhe an« (s/r)
RIO ist das neue Projekt von Nella Lenoir. Das wissen noch nicht so viele, wahrscheinlich aber bald ein paar. Die Eingeweihten dürfen sich derweil die Samthandschuhe überstreifen und RIO auf die Reise schicken.
Lee Stevens – »Maskaron EP« (Luv Shack Records)
Eine halbe Million Aufrufe hat er mit »Ridin High« zusammengestreamt. Am Club-Boden ist er geblieben. Lee Stevens, der Luv-Shack-Gründer und Sass-Aufsperrer, macht immer noch Musik, für die sich Opa Hans die Hüfte reparieren lässt. Fast so gut wie Urlaub in Italien.
Sundl – »3« (Cut Surface)
Seine Exzellenz Fürst Finsternis hat das Tapedeck abgewrackt und sich für die Prämie einen Schallplattenspieler gekauft. Die erste Platte ist deshalb der dritte Release. Sie heißt »3«, was Sinn macht, es ist der dritte Release von Sundl. Die Orgel zuckt derweil weiter. Die Freunde tun mit. I want it darker oder so.
BLUEBUNNY & twinflamegirl – »ASCENDER« (s/r)
Ihre Musik ist ein Vibe, den man nur nach drei Seelenspaziergängen mit SOPHIE, einer zweiwöchigen Autotune-Kur mit A.G. Cook oder nach einem Ausflug in den Ashida Park verstehen kann. Was dahinter steckt? Wir finden es heute bei Grundrauschen raus.
Liminal Mors – Aural Healing« (s/r)
Wer erahnt, was sich hinter der Zuschreibung »Wiener Merzbow« verbirgt, kettet sich schonmal auf die sonische Streckbank. Alle anderen foltern sich weiterhin mit FM4.
Marveux – »Monolith« (Cultural Commentary)
Wäre Musik ein schwarzes Loch, das alles und jeden verschluckt, sie käme von Marveux.
Maki Damage – »Zwietracht und Häme« (s/r)
Klar, Neubau ist ein krasses Pflaster, aber wart ihr schonmal in Möllersdorf? Die Brettln, die Maki Damage unter seinen Poetry Slam packt, sorgen für Kopfnicken bei Realkeepern – nicht nur in der Provinz.
Mala Herba – »Singing Warmia (Exiles)
Bevor jemand auf die Idee kommt, die Sache als Soundtrack für Twin Peaks auf Polnisch zu bezeichnen, mach ich’s lieber.
MRM Trio – »ears are for ringing« (Interstellar Records)
Panierquote trifft Ballaballabalkan für die Drönung aus dem Dazwischen.
M.A.D – »Fischer Vicard Kern« (Interstellar Records)
Die freejazzigste Versuchung seit die Menschheit auf die Idee kam, Saxophone mit Schlagzeugen zu spalten.
Tin Man – »Arles« (Bureau B)
Niemand hat die Acid-Quetschen von Roland über die letzten 20 Jahre geritten wie Tin Man. Keine Überraschung, dass der coolste Finne in Wien aus der 303 noch Töne tröpfelt, die selbst für gestandene Psychonauten wie lumpenreines Acid (äh …) wirkt.
Va Fa Napoli – »s/t« (s/r)
Lorraine war mal eine sehr gute Band in Wien. Sie haben sich vor einigen Jahren aufgelöst. Das war schade. Andere Bands machen zum Glück weiter, zum Beispiel Va Fa Napoli, deren Bandname mit Sicherheit eine Beleidigung ist, was aber gut zur Musik passt, weil sie spielen bittschön Punk!
Anthea & Kenji Araki – »Seven Eyes« Ashida Park)
Der letzte Beweis dafür, dass die Techno-Kick im Autodrom geiler klingt als im Club.
Other:M:other – »MetaMorph« (Klanggalerie)
Marketingpreise werden’s mit dem neuen Namen nicht gewinnen. Dafür hält das Trio um Judith Schwarz, Jul Dillier und Arthur Fussy aber Ausschau aus der Klanggalerie – nach den kompliziertesten Rhythmen, die je ein Loop gesehen hat.
kristian musser – »SLOW« (s/r)
Keine These: Es gibt kaum bessere Gelegenheiten, gedankenverloren über die Saiten zu schrammeln als während ausgedehnten Mitternachtsausflügen.
Mosch – »Gray Singles« (s/r)
Martin Unterlechner hat Duzz Down San gegründet. Das wissen alle, die es wissen müssen. Frankly speaking: Wenn der Mann sechs Beats raushaut, nickt der Wackeldackel artig im Takt der Trommel.
Hyeji Nam – »miracles« (Tender Matter)
Was mit einem Klaviergstanzl beginnt, wird das vielleicht beste Album des Jahres, wenn jetzt kein besseres mehr kommt.
Bevor wir auseinandergehen …
Enable 3rd party cookies or use another browser
Dir gefällt Grundrauschen? Push the button – und sorg dafür, dass der Rausch einmal im Monat in deine Inbox flattert.
Christoph Benkeser ist freier Journalist, Redakteur und Radio-Moderator. Sag »Hi« via E-Mail schreibe ihm für eine Zusammenarbeit.